Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
habe verstoßen. Wir haben zusammen gejagt. Viermal.«
Ich zuckte zusammen.
Das war grob untertrieben.
Dinah sah auf, schüttelte missbilligend den Kopf und schrieb.
Außer Pia und mir beichteten noch vierzehn andere Novizinnen. Nur Dinah, Solveigh und Var waren offenbar ausgenommen. Mir fiel auf, da ss insgesamt nur neunzehn Personen im Raum versammelt waren. Eine von uns fehlte.
Ich traute mich jedoch nicht, Pia zu fragen, denn nach der Beichte verfielen alle in dumpfes Schweigen. Dann endlich stand Var auf, nickte Dinah zu und verließ den Raum.
Dinah klappte das Buch zu und folgte ihr mit Solveigh.
Die anderen entspannten sich langsam, standen nach und nach auf und begannen leise Gespräche.
»Was passiert jetzt?« fragte ich Pia.
»Sie besprechen sich in Vars Gemächern. Alle Verfehlungen werden notiert, addiert, und wer zuviel gesündigt hat, wird bestraft.«
»Mir ist aufgefallen, dass wir nur neunzehn sind.«
Eine andere Vampirin drehte sich zu mir.
»Mona ist in der Kammer. Dinah hat sie hineinbefohlen, kurz nachdem du das erste Mal hier warst, Ludmilla. Sie hatte damals schon einige Zeit nicht getrunken. Sie bekommt lange kein Blut. Es ist verdammt hart.«
»Aber warum verschweigt ihr eure Verfehlungen nicht?« fragte ich.
»Dinah wacht über uns«, antwortete eine andere Vampirin. »Sie beobachtet jede von uns. Nicht immer und nicht ständig. Aber jede ist irgendwann dran. Du weißt nie, wann sie in deiner Nähe ist. Dinah kann sich, wie jeder Vampir, gegen andere unserer Art geistig abschotten. Man kann sie nicht spüren, wenn sie es nicht will. Es ist besser zu bekennen. Wer der Lüge überführt wird, kommt noch länger in die Kammer.«
Ich sah Pia an. Sie hatte bei der Beichte gelogen.
Sie zuckte nur mit den Schultern, beugte sich zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Es gibt keinen echten Spaß ohne Risiko, Ludmilla.«
Plötzlich ging die Tür auf.
Die anderen zuckten zusammen.
Dinah trat ein, das Buch in der Hand. Sie blieb eine Zeitlang stehen, ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und legte das Buch schließlich auf eine steinerne Säule. Ich spürte überall um mich herum Erleichterung. »Heute ist niemand dran«, flüsterte Pia.
»Ludmilla!«
Dinahs Stimme war wie Eis.
Ich fuhr zusammen.
»Komm mit«, befahl Dinah. »Die Oberin will dich sehen.« Wir gingen hinaus. Angst schnürte mir die Kehle zu. Dinah ging mit mir einen langen Gang entlang, von dem links und rechts mehrere Türen abgingen. Alle waren aus Holz, eine jedoch aus schwerem Eisen. Dinah blieb vor dieser Tür stehen, drehte sich lächelnd zu mir um, schob ein kleines Sichtfenster auf und sagte:
»Sieh hinein.«
Ich tat es und zuckte zurück. In dem kargen Raum wand sich eine zusammengekrümmte Gestalt, eine Frau. Krämpfe durchzuckten ihren Körper. Ihre Fingernägel krallten sich in den nackten Steinfußboden. Sie wimmerte grä sslich.
Ich wandte mich ab.
»Die Kammer«, sagte Dinah. »Damit du siehst, wie wichtig Gehorsam ist.«
Sie ging weiter, und ich folgte ihr. Abscheu und Zorn durchflutete n mich. Von dieser Minute an hasste ich Dinah.
Schließlich blieb sie am Ende des Ganges stehen und klopfte leise gegen eine große, zweiflügelige Tür.
»Bring sie herein«, ertönte Vars Stimme.
Dinah öffnete die Tür, und ich trat in das Gemach der Oberin.
Var saß auf einem schweren, alten Holzstuhl und sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Der Raum war etwa drei Meter hoch und wurde von einem gewaltigen Kerzenleuchter an der Decke erhellt. Seltsame Artefakte hingen an den Wänden. Bemalte Knochen und geschnitzte Holzfiguren, die Wesen zwischen Tier und Mensch mit grotesken Proportionen zeigten. Direkt hinter dem Stuhl, auf dem Var saß, hing ein Gemälde, das fast vollständig von einem kleinen Vorhang verdeckt wurde.
»Komm näher«, sagte Var und richtete ihre raubtierhaften Augen auf mich. Ich ging langsam auf sie zu. Ihre Haut schimmerte weiß. Mir wurde kalt.
Sie deutete auf einen Stuhl. »Setz dich, Ludmilla.«
Ich tat es und sah zu Boden.
»Hast du Angst vor mir?«
Ich nickte mit dem Kopf.
»Ich weiß, du verstehst vieles nicht«, fuhr sie fort. »Du hast dich so gefreut, nicht mehr allein zu sein und die Schwestern gefunden zu haben, nicht wahr? Und jetzt bist du entsetzt über die starren Regeln, die Rituale, die Strafen.«
Ich nickte unmerklich.
»Glaub mir, mein Kind. Es hat alles seinen Sinn. Ohne Disziplin bricht alles zusammen. Wir können nur überleben, wenn wir
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