Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
weiter decken. Du erklärst mir hier und jetzt, wer du bist und wovor du fliehst, sonst sehen wir uns nicht wieder.«
Was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit würde ihn umbringen, so oder so. Lügen halfen mir nicht mehr. Ich mu sste Zeit gewinnen, um über eine Lösung nachzudenken.
»Gut, Michael« sagte ich schließlich verzweifelt. »Heute Abend im Club in meinem Zimmer sollst du alles erfahren. Ich muss nur…«
»Nein, jetzt«, brüllte er. »Jetzt will ich die Wahrheit wissen. Hör auf, mich hinzuhalten.«
Er war rot vor Zorn.
»Schrei mich nicht an, Michael! So erfährst du erst recht nichts von mir.«
»Dann nicht!« brüllte er und trat mit voller Wucht gegen einen Tisch. Eine Blumenvase fiel klirrend zu Boden.
Michael packte seinen Mantel und rannte hinaus. Im Treppenhaus hielt er noch einmal inne und rief: »Innerhalb von drei Tagen erscheinst du bei mir im Büro und erklärst mir alles. Sonst kann ich nichts mehr für dich tun.«
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und begann hemmungslos zu weinen.
»Vergi ss die Menschen«, hörte ich Pias Stimme aus weiter Ferne zu mir sagen.
30 - SCHICKSAL
Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, beschloss ich, in den Club zu fahren, um mit Grant zu reden. Vielleicht wusste er eine Möglichkeit, um Michael noch eine Weile hinzuhalten. Grant hörte sich alles in seinem Büro an und murmelte etwas von einer »guten Adresse für Papiere«. Aber er gab zu, dass er auch keinen echten Ausweg wusste.
»Ludmilla,« sagte er. »Ich weiß zu wenig von dir. Du warst damals in jener Nacht auf einmal da, als mich die beiden Typen fertigmachen wollten. Dann bist du geblieben und hast nie etwas erzählt, und ich habe auch keine Fragen gestellt. Du bist jemand… etwas, was mir angst macht. Aber ich mag dich. Trotzdem: Du kannst dich nicht länger vor dem verstecken, was früher einmal war.«
Er hatte recht. Michael war ein guter Polizist. Er würde jede Lüge über kurz oder lang aufdecken. Auch wenn er mich sicherlich nicht irgendwelcher schwerer Verbrechen verdächtigte, wusste er instinktiv, dass ich etwas zu verbergen hatte, und er war mit seiner Geduld am Ende. Wenn er meine alte menschliche Identität entdeckte, würde es viele sehr unangenehme Fragen geben. Ich musste mein neues Leben schützen. Die Lösung lag auf der Hand. In absehbarer Zeit würde ich für immer von hier verschwinden müssen. Ich war mir zwar sicher, dass Michael mir noch etwas Zeit lassen würde, bevor er Maßnahmen ergriff. Wahrscheinlich hoffte er, dass ich ihn doch noch anrufen würde, um ihm alles zu erzählen, was er wissen wollte. Aber sehr lange konnte ich nicht mehr warten.
Grant forderte mich schließlich auf, hinunter in den Saal zu gehen und zu arbeiten. Das würde mich erst mal ablenken. Er wolle über alles nachdenken.
Ich ging zur Bar und sah mich in dem vollen Raum um. Vor mir saß ein Stammgast mit einer Zigarette im Mund und suchte in seinen Taschen nach einem Feuerzeug. Ich hielt Carl an, der gerade vorbei ging, und bat ihn um eines unserer »Grants Club«-Streichholzbriefchen. Er griff in sein Sakko, reichte es mir und ging wortlos weiter. Ich gab dem Gast Feuer und steckte die Streichhölzer in die Brusttasche meiner Bluse.
Die Nacht war lang, aber schließlich leerte sich der Club nach und nach und es wurde etwas ruhiger. Ich saß mit Linda und Grant an der Bar, als es plötzlich in einer Ecke des Saals laut wurde. Zwei Männer, offensichtlich angetrunken, waren wegen irgend etwas in Streit geraten und fingen an, sich gegenseitig zu beschimpfen.
Grant wollte aufstehen, aber ich kam ihm zuvor. »Ich werde sie schon besänftigen«, sagte ich und ging langsam in Richtung der beiden Streithähne. Aber es war schon zu spät. Einer der beiden zog plötzlich ein Messer und fing an, auf seinen Gegner einzustechen. Ich sprang hin und drosch dem Messerstecher meine Faust gegen das Kinn. Er ging bewusstlos zu Boden. Aber der Mann hatte seinen Gegner trotzdem verletzen können. Das Opfer stand mit weit aufgerissenen Augen vor mir und presste eine Hand auf seinen Unterarm, aus dem unaufhörlich Blut spritzte. Ein dünner Strahl traf mich mitten ins Gesicht. Es war wie ein Keulenschlag. Ich roch, ich schmeckte das frische Blut, und sofort kam der Hunger. Ich hatte lange nicht getrunken, und was sich in letzter Zeit langsam und stetig aufgebaut hatte, kam jetzt mit ungeheurer Intensität. Ich brauchte Blut, und zwar sofort. Zum Glück waren Grant und zwei Kellner zur Stelle
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