Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Ruhe. Und trotzdem, Ludmilla. Da draußen verschwinden immer wieder Menschen. Aber niemand weiß, ob sie das Opfer dieses Irren oder anderer Verbrecher geworden sind. Es ist zum Verrücktwerden.«
Michael fand keine Leichen mehr, weil ich seltener als früher trank und, wie meine Schwestern, sehr viel vorsichtiger geworden war. Pia war eine gute Lehrerin. Die Zeiten, in denen ich einfach losgezogen und den Erstbesten überfallen hatte, waren vorbei.
Auch den Professor sah ich weiterhin regelmäßig. Er hatte sich bemerkenswert im Griff.
»Ludmilla, warum machen Sie sich Sorgen?« beschwichtigte er mich. »Sie sehen ja, ich lebe. Pia scheint kein Interesse an meinem Tod zu haben.«
Ich nickte, aber im Stillen dachte ich an das nächste Treffen im Gewölbe. Was hatte Pia damit gemeint, dass wir »jede Menge erzählen müssten«?
Barker versuchte weiterhin, das alte Dokument über die Geschichte der Vampire zu entschlüsseln, und machte große Fortschritte. Das Geschriebene deckte sich bisher weitgehend mit Vars Erzählungen. Die weiblichen Vampire hatten sich nach der prähistorischen Schlacht gegen die Menschheit in alle Welt verstreut und nicht näher bezeichnete, magische Gegenstände mitgenommen. Diese wurden an geheimen Orten deponiert. Nur dort sei es möglich, neue Vampire zu erschaffen. Und dann auch nur, wenn man das Ritual kannte, von dem schon so oft die Rede war.
Barker und ich fragten uns, wer wohl der Autor dieser Zeilen war, aber bisher gab es in dem Dokument keinerlei Hinweise. Doch eines Tages übersetzte Barker einen Absatz, in dem sich der Autor erstmals zu erkennen gab. Er lautete folgendermaßen:
Ich bin Gregor. Ich bin von ihr geschaffen worden. Gegen das Gesetz. Ich hause im verborgenen. Ich kenne alle Geschichten. Ich darf nicht existieren. Sie ist mächtig. Aber auch eine Oberin darf das Gesetz nicht mi ssachten. Irgendwann werden sie mich entdecken und töten. Ich kenne alle Geschichten und alle Geheimnisse. Ich schreibe sie in diesem Buch nieder. Und eines Tages wird es jemand finden und lernen. Und es wird wieder Vampire geben. Überall und von jedem Geschlecht.
Dann kehrte der Text zur Geschichte der »Dunklen Schwestern« zurück. Das war es also! Unser Autor war ein männlicher Vampir, der von einer Oberin heimlich geschaffen worden war und sich nicht nur vor den Menschen, sondern auch vor seinesgleichen verbergen mu sste. Er hatte sich wohl in seiner Einsamkeit selbst zum heimlichen Chronisten der Vampire ernannt und alles detailliert aufgeschrieben, was er wusste.
Wir erfuhren nie, was schließlich aus ihm geworden war. Auf den folgenden Seiten beschrieb er detailliert die Hierarchie und Rituale der »Dunklen Schwestern«, aber es gab keinerlei Hinweise mehr auf sein eigenes Schicksal. Wir wu ssten nicht einmal, ob er vielleicht noch lebte. Irgendwo da draußen im Verborgenen.
28 - IM GEWÖLBE
Eines Abends riefen mich meine Schwestern zu sich. Ich fuhr aus dem Schlaf, weil mein Kopf plötzlich von einem tiefen Summen erfüllt war. Und inmitten dieses seltsamen Geräusches, das keinem ähnelte, was ich kannte, hörte ich plötzlich verzerrt, aber unverkennbar – ihre Stimme. Var sprach auf telepathischem Wege zu mir. »Kommt!« befahl sie. »Noch heute Nacht.«
Ich saß aufrecht in meinem Bett. Ein Schauer durchfuhr mich. Angst und gespannte Erwartung vermischten sich zu einem sonderbar aufregenden Gefühl. Dann klingelte das Telefon. Es war Pia.
»Na, Ludmilla, kleiner Schreck in der Abendstunde, was?«
»Hättest du mich nicht vorwarnen können? Ich dachte erst, sie steht neben mir.«
»Sorry, hab’s vergessen. Mach dich bereit. Erzähl Grant irgendwas. Ich hole dich in vier Stunden ab. Um Mitternacht müssen wir dort sein.«
Später, als wir zusammen in ihrem Auto in Richtung Waldgebiet fuhren, wurde Pia für ihre Verhältnisse ungewöhnlich ernst.
»Ludmilla, das erste Mal im Gewölbe war eine besondere Situation. Dein Willkommen, deine Geburtstagsfeier sozusagen. Ich wusste, dass du mit Barker in die Nähe unseres Versammlungsortes wolltest, habe berichtet, und Var rief uns in aller Eile zusammen, weil sie sicher war, dass du unsere Nähe spüren würdest. Sie wollte, dass du angemessen begrüßt wirst. Heute Nacht wird es anders sein.«
»Was wird anders sein?«
»Heute müssen wir beichten.«
»Beichten?«
»Ja, ich habe es doch schon mal erwähnt. Wir müssen beichten, gegen welche Regeln wir verstoßen haben.«
»Was sind denn das für Regeln?«
»Du
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