Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
und kümmerten sich um den Verletzten. Ich hätte den Mann sonst möglicherweise an Ort und Stelle angefallen. So konnte ich mich in dem allgemeinen Trubel unauffällig zurückziehen und lief hinaus auf die Straße. Heute Nacht würde ich nicht vorsichtig sein. Heute würde ich nicht weit weggehen, um zu trinken. Es musste bald sein. Sehr bald.
Schnell verließ ich die direkte Umgebung des Clubs und stand schließlich ein paar Straßen weiter in einer dunklen Hausecke und wartete. Wen würde mir das Schicksal liefern? Einen betrunkenen Freier? Einen Zuhälter, der gerade vom Abkassieren kam? Eines der zahlreichen Bandenmitglieder? Ich zitterte vor Gier am ganzen Körper. Blut. Ich dachte nur noch an Blut.
Dann endlich hörte ich Schritte. Eilige Schritte. Zwei Personen. Sie bogen um die Ecke. Männer. Kräftig, durchtrainiert. Sie bewegten sich schnell und zielsicher. Vielleicht das Fußvolk irgendeines Paten auf dem Weg zu einem Auftrag. Ich würde sie beide töten müssen. Doch die Gier benebelte meine Sinne, machte mich unvorsichtig. Ich ließ sie nicht nahe genug an mich herankommen, sondern stürzte mich schon aus einiger Entfernung auf sie. So sahen sie mich kommen, registrierten als kampferprobte Männer sofort eine Attacke und gingen umgehend zum Gegenangriff über. Der eine versuchte, mir mit einem wuchtigen Karatetritt den Kehlkopf zu zerquetschen. Ich drehte mich rechtzeitig weg, packte seinen Fuß und rißss den Mann von den Beinen. Aber schon war der andere hinter mir und schlug mir mit aller Kraft ins Genick. Ich taumelte einen Schritt nach vorne, verlor kurz das Gleichgewicht und fiel hin. Der Mann stürzte sich sofort auf mich, aber ehe er mich erreicht hatte, stand ich schon wieder auf den Beinen, sprang auf ihn zu und tötete ihn mit einem gezielten Schlag. Der andere hatte sich wieder aufgerappelt und blickte ungläubig auf seinen Partner, der leblos auf der Erde lag. Ehe er reagieren konnte, stand ich schon hinter ihm, drückte ihn mit meiner überlegenen Kraft zu Boden und fing an, ihn gierig leerzutrinken. Sein Widerstand ließ schnell nach.
Doch noch während ich über ihm kauerte und sein Blut nahm, hörte ich plötzlich Schritte und Gesprächsfetzen. Eine größere Gruppe Menschen näherte sich dem Ort des Geschehens. Es gab nur die Flucht. Ich sprang auf und rannte davon.
Minuten später war ich zu Hause, schloss die Tür hinter mir und kam langsam wieder zur Ruhe. Es war verdammt knapp gewesen. Von zahlreichen Zeugen neben zwei Leichen gesehen zu werden, hätte sehr gefährlich werden können. Schon im Zusammenhang mit dem Tod des jungen Patrick war ja die Rede von einer jungen, dunkelhaarigen Frau gewesen.
Ich ging nicht mehr aus dem Haus und fiel im Morgengrauen schließlich in einen unruhigen Schlaf. Im Traum erschien mir Var. Bleich, groß und machtvoll. Sie sprach nicht, aber allein ihre bloße Gegenwart schüchterte mich ein und ließ mich mein nächtliches Fehlverhalten um so mehr bereuen. Ich fühlte mich wie eine Schülerin, die zum wiederholten Male unter den strengen Blicken ihrer Lehrerin versagt hatte.
Am Nachmittag des folgenden Tages erwachte ich vom Klingeln des Telefons. Es war Grant.
»Ludmilla, wie geht es dir? Wir haben uns Sorgen gemacht wegen gestern. Du bist so plötzlich verschwunden…«
»Kein Problem, Grant«, antwortete ich, bemüht, möglichst ruhig zu klingen. »Ich habe mich ziemlich geärgert, dass ich die Situation falsch eingeschätzt habe. Ich hätte schneller reagieren müssen.«
»Na, du bist gut«, protestierte Grant. »Der Mann ist nur leicht verletzt. Weil du eingeschritten bist. Ich denke, du hast ihm das Leben gerettet. Der Angreifer war ein stadtbekannter, ziemlich gewalttätiger Koksdealer. Die Polizei hat ihn gleich mitgenommen, als er wieder aufgewacht ist. Du hast ihm ein ziemliches Ding verpa sst. Er hat einen Kieferbruch. Na ja, wie es so deine Art ist, meine Liebe.«
Ich muss te lächeln. Ich empfand auf einmal ein starkes Gefühl der Vertrautheit und sagte: »Danke, dass du angerufen hast. Ich komme gleich vorbei.« Dann legte ich auf, machte mich frisch und ging los in den Club.
Als ich dort ankam, saß Grant mit einem der Musiker in seinem Büro und diskutierte mal wieder über die Höhe der Gagen. Carl war unten im Lager und kümmerte sich um die Anlieferung der Getränke. Grant begrüßte mich überschw änglich und wollte mich gerade um meine Meinung in dem Disput bitten, als es plötzlich an der Tür klopfte.
Grant rief
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