Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
wirst es hören. Wenn du an der Reihe bist, sag nichts. Ich werde reden. Du bist neu, du brauchst diesmal noch nichts zu sagen. Ich bin deine Lehrerin. Ich werde für uns beichten.«
»Pia, was soll das? Wir sind doch kein Nonnenkloster.«
»Ludmilla, glaub mir: An den Tagen der Beichte ist ein Nonnenkloster ein Vergnügungspark gegen die Schwesternschaft.«
Sie parkte den Wagen, und wir gingen schweigend durch den Wald bis an den Zaun, der den Urwald begrenzte.
Wenige Minuten später waren wir von unberührter Wildnis umgeben. Pia ging voraus. Sie kannte einen verborgenen Pfad durch das Dickicht, der uns schneller an unser Ziel brachte.
Schließlich standen wir vor dem Erdhügel. Das geheime Tor stand offen. Der flackernde Schein von Fackeln drang aus dem Gang, der ins Gewölbe hinunter führte.
»Komm«, sagte Pia, als ich zögerte. »Wir sind spät dran. Ich will nicht Dinahs Zorn auf uns ziehen.«
»Das will ich dir auch nicht geraten haben«, ertönte plötzlich eine schneidende Stimme aus der Tiefe. Dinah trat hinaus in die Dunkelheit. Ihr Blick war eisig. »Ihr seid die letzten. Hinein mit euch, damit ich das Tor schließen kann.«
Wir schlüpften mit eingezogenen Köpfen an ihr vorbei und eilten den Gang hinab in Richtung Versammlungsraum. Hinter mir ertönte ein dumpfes Geräusch. Schwere Steinquadern stießen aufeinander. Das Tor war geschlossen. Wir waren eingesperrt in der unterirdischen, geheimen Welt der Vampire.
Dinah holte uns schnell ein. Ich spürte die Kälte, die von ihr ausging, als sie dicht hinter uns blieb.
Dann betraten wir das Gewölbe. Hunderte von Kerzen an den Wänden beleuchteten eine bizarre Szenerie. Var saß regungslos am Kopfende des großen Tisches. Links neben ihr saß die ältere Vampirin Solveigh. Der Platz rechts neben Var war frei. Die Novizinnen knieten mit nach unten gesenkten Köpfen auf dem Boden. Jede trug ein schwarzes Gewand mit Kapuze. Pia nahm eines von einem Haken und warf mir ein zweites zu. Wir streiften es in aller Eile über. Pia zog mich zu den anderen, und wir knieten ebenfalls nieder. Dinah setzte sich auf den freien Platz neben Var und schlug ein großes Buch auf, das sehr alt schien. Sie nahm eine altertümliche Feder, tauchte diese in eine Phiole mit einer roten Flüssigkeit und schrieb eine Zahl auf.
»Blut«, flüsterte Pia. »Dinah schreibt alles mit Blut auf.«
»Was schreibt sie auf?« flüsterte ich. Langsam wurde mir etwas unbehaglich.
»Ruhe!« ertönte plötzlich Dinahs schneidende Stimme durch den Raum. »Die Oberin spricht.«
Var öffnete ihre Augen, blickte stumm auf uns herab und begann mit seltsam monotoner Stimme zu sprechen:
»Nicht Leben, nicht Tod.
Nicht Mensch, nicht Tier.«
Die anderen wiederholten ihre Worte feierlich.
Mir wurde klar, dass es sich zweifellos um eine Litanei handelte. Heilige Worte, unzählige Male rituell vorgesprochen und wiederholt.
Var sprach weiter:
»Wir.
Geboren aus dunklen Tagen.
Am Anbeginn der Zeit.
Wir.
Schwestern auf ewig.
Durch die Macht des Blutes.«
Wir wiederholten ihre Worte, die mich seltsam einlullten. Sie durchströmten mich, wurden Teil meines Körpers, meiner Seele. Uralte Worte. Beschwörungen. Verweise auf vergangene Größe. Schwüre. Blutschwüre.
Ich sah kurz zu Pia. Sie rollte mit den Augen. Was mich seltsam anrührte, schien sie nur noch zu langweilen. Wie oft hatte sie in all den Jahren die Litanei wohl schon mit anhören müssen?
Dann schwieg Var.
Aber auch ohne ein Wort zu sagen, beherrschte sie die Szenerie mit ihrer außerordentlichen Autorität. Der Raum barst förmlich vor Energie. Dann ergriff Dinah das Wort, und ich spürte, da ss ein Teil dieser ungeheuren, machtvollen Energie auch von ihr ausging.
»Jetzt sprecht!« forderte sie uns auf und tauchte die Feder erneut in das Blut.
Die erste der Novizinnen erhob sich.
»Ich bin Lara. Ich habe verstoßen«, flüsterte sie. »Ich nahm zu viele Leben. Fünfmal in einem Monat.«
Dinah schrieb etwas in ihr Buch.
Die nächste erhob sich.
»Ich bin Victoria. Ich habe verstoßen. Ich habe ein Opfer liegenlassen, weil ich gestört wurde. Ich war unaufmerksam.«
Dinah schrieb erneut.
Fünf andere Novizinnen bekannten Verfehlungen. Eine hatte sich einem Menschen offenbart. Er hatte ihr kein Wort geglaubt.
Dinah blickte zu Var.
»Töte ihn trotzdem«, befahl Var.
Ich erschauerte und dachte an den Professor.
Dann war Pia an der Reihe.
»Ich bin Pia. Ich spreche heute, dieses eine Mal, auch für Ludmilla. Ich
Weitere Kostenlose Bücher