Nachtblind
eins und eins zusammenzählen, kommen wir zwar zu der Überzeugung, dass er der Täter ist … Aber das reicht natürlich nicht vor Gericht. Und der Kerl sieht nicht mal wie ein Dealer aus. Er sieht aus wie ein Waschmaschinenverkäufer.«
»Und wenn er nicht der Täter ist?«
»Wir haben eine erste Beweiskette zusammengestellt«, sagte Lucas. »Wenn sich diese Beweiskette verdichtet und wir noch fester von seiner Schuld überzeugt sind … vielleicht haben wir dann eine Chance. Vielleicht stolpern wir ja auch über handfeste Beweise. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass wir einen Schuldspruch wegen Mordes gegen Rashid Al-Balah erwirkt haben, und dann taucht das vermutete Mordopfer quicklebendig wieder auf …«
»Okay. Wir halten uns also an diesen Mann bei der Bank …«
»Halt, halt – sobald wir mit ihm geredet haben, ruft er Rodriguez an, und der weiß, dass wir ihn aufs Korn genommen haben«, gab Del zu bedenken.
»Das stimmt«, bestätigte Lucas. »Wir müssen Rodriguez’ Telefon anzapfen, vielleicht seine Räumlichkeiten verwanzen. Wenn er dann über die Sache redet …«
»Haben wir denn genug in der Hand, um die Genehmigung dafür zu kriegen?«, fragte Rose Marie.
»Das glaube ich schon«, meinte Lucas. »Wir könnten das heute Nachmittag schon anleiern. Bedenken Sie, dass es für die Staatsanwaltschaft kaum eine bessere Entwicklung geben kann als eine Ablenkung von der Al-Balah-Sache, falls sie aufs Tapet kommt. Wenn wir Rodriguez als Tatverdächtigen für den Mord an Alie’e präsentieren können, wandert die peinliche Al-Balah-Sache auf Seite neun der Zeitungen.«
»Die Al-Balah-Story ist schon raus«, sagte Rose Marie. »Der County-Staatsanwalt meinte, er sollte die Flucht nach vorn antreten, ehe die Sache anderswie rauskommt.«
»Trotzdem …«
Rose Marie nickte. »Ich veranlasse das mit dem Abhören.«
Dann legte Rose Marie den Stand der Dinge bei Tom Olson dar. Man hatte ihn inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen; Lester ließ ihn von Cops des Morddezernats rund um die Uhr bewachen. Alie’es Begräbnis war verschoben worden, bis die Leichen der Eltern von der Polizei freigegeben waren und man alle drei zusammen beerdigen konnte – was noch eine Weile dauern konnte, weil die Situation am Tatort in dem Motel in Bloomington so kompliziert war und sorgfältige Autopsien gemacht werden mussten.
»Wenn Olson der Täter ist – der Mann, der wegen des Mordes an seiner Schwester einen Rachefeldzug gegen eine ganze Reihe von Leuten gestartet hat –, könnte es sein, dass er wieder einen Anschlag auf Jael Corbeau plant. Oder auf diese andere Frau – Catherine Kinsley.«
»Oder auf diesen Jax.«
»Tax hat sich davongemacht«, sagte Rose Marie. »Er ist nach New York gefahren, will aber zur Beerdigung zurückkommen. Wahrscheinlich kauft er sich das richtige Outfit, um sich standesgemäß auf Alie’es Grab werfen zu können.«
»Wir machen also nichts, warten nur ab?«, fragte Lucas.
»Nein. Wir machen weiterhin diese tägliche Familien-Sitzung mit Tom Olson und seinen Freunden. Tom Olson kommt in …« – sie sah auf die Uhr – »… zwanzig Minuten. Wir werden in seinem Beisein mit dem Finger auf Catherine Kinsley zeigen, das Gespräch auf ihre besondere Beziehung zu Alie’e bringen. Sie fährt mit ihrem Mann wieder zu ihrer Hütte oben im Norden, und sie liegt so versteckt in den Wäldern, dass man sie selbst mit einer Landkarte kaum finden kann. Aber wir werden ein Bewachungsteam dorthin abstellen – mal sehen, ob Tom Olson sich auf die Suche nach ihnen macht.«.
»Und Jael?«
»Wir halten es für weniger wahrscheinlich, dass er wieder einen Anschlag auf sie durchführt, weil er es schon mal versucht hat und sie ihm durch die Lappen gegangen ist«, sagte Rose Marie. »Aber wir haben auch bei ihr ein Bewachungsteam. Übrigens, Lucas, ich würde es begrüßen, wenn Sie mal bei ihr vorbeifahren und mit ihr reden würden. Sie ist sehr verängstigt, und es würde ihr bestimmt gut tun, wenn sie sieht, dass Sie sich um sie kümmern.«
»Okay«, sagte Lucas. »Noch was … Ich weiß, Angela Harris ist eine gute Psychologin, aber ich habe Olsons Gesicht gesehen, als er über den Rasen auf uns zugerannt kam, um uns zu sagen, was er im Zimmer seiner Eltern vorgefunden hatte. Mann, ich weiß ja nicht viel über dieses Zeug mit der multiplen Persönlichkeit, aber was ich da gesehen habe, war … echt. Seine Gefühlsaufwallung war wirklich echt. Wenn seine diversen Persönlichkeiten
Weitere Kostenlose Bücher