Nachtblind
Trennung von meinem Mann tun soll, als Versuch sozusagen, um herauszufinden, ob mir das noch etwas gibt … Oder ob ich mich erst von meinem Mann trennen und dann mit dir schlafen soll.«
Lucas war empört: »Als ob ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden hätte …«
Sie betrachtete ihn einen Moment sehr genau, schüttelte dann den Kopf. »Kaum. Du willst mit mir schlafen, das weiß ich. Wenn ich es erzwingen wollte, brauchte ich nur ein bisschen verführerisch aufzutreten, und du würdest alle möglichen katholischen Schuldgefühle entwickeln und in deinem Haus rumlaufen und verzweifelt mit den Armen herumfuchteln – und es dann doch tun.«
»Mein Gott, man betrachtet mich als pures Stück Fleisch.«
»Nein, so ist es nicht«, sagte sie. Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Du bist ganz einfach nur einer dieser Männer, die gerne mit Frauen schlafen. Du brauchst das für dein Wohlbefinden. Und du hast derzeit keine feste Beziehung mit einer Frau. Ich könnte dich also leicht verführen, wenn ich wollte … Aber ich muss noch darüber nachdenken.«
Er blieb einen weiteren Schritt hinter ihr zurück. »Na schön … Lass mich das Ergebnis deines Denkprozesses wissen.«
Sie lachte laut, und für einen Augenblick sah sie aus wie neunzehn. »Ja, das werde ich.«
Im Wagen rief Lucas über das Handy seinen Freund Bone an, und fünfzehn Minuten später geleitete Bones Sekretärin ihn durch eine Phalanx im Vorzimmer wartender Mitarbeiter des mittleren Managements ins Büro des Bankers.
Bone schaute auf zwei Computermonitore gleichzeitig. Als Lucas hereinkam, wandte er sich ihm zu und sagte: »Manchmal habe ich das Gefühl, von diesen Dingern würde so viel Strahlung ausgehen und durch meinen Kopf sausen, dass eine komplette Röntgenaufnahme von meinem Schädel herauskäme, wenn man einen unbelichteten Film hinter meinen Kopf halten würde.«
»Was macht dein Knöchel?«
»Tut noch weh. Ist bis nächste Woche aber wieder in Ordnung.« Sie spielten zweimal in der Woche zusammen in einer Basketball-Mannschaft. Bone hatte einmal zu den Verdächtigen in einem von Lucas’ Mordfällen gehört. Inzwischen aber war er nicht nur ein echter Freund geworden, sondern aufgrund seiner Verbindungen in der Finanzwelt auch eine Quelle für nützliche Informationen, die Lucas gelegentlich brauchte. »Ich habe die Unterlagen über deinen Mann.«
»Vertraulich, oder?«
»Natürlich. Aber viel ist es nicht.«
»Würdest du diesem Mann Geld leihen?«
Bone lehnte sich zurück. »Es gibt zwei Kriterien, die man prüfen muss, ehe man einem Mann Geld leiht: seine Vergangenheit und die vorhandenen Sicherheiten. Dein Mann hat keine unzweifelhaften Sicherheiten zu bieten, aber seine Vergangenheit ist sauber.«
»Zu sauber?«
»Es gibt kein zu sauber . Es gibt nur ein zu unsauber .«
»Was ist, wenn man auf eine hundertprozentige Vermietung der Wohnungen in Appartementgebäuden angewiesen ist, um die Finanzierung zu decken? Und diese volle Auslastung tatsächlich schafft? Ist das nicht zu sauber?«
»Es ist schlicht und einfach nicht möglich«, sagte Bone. Er schob sich vorwärts, blätterte in seinen Papieren, sah von einem Monitor zum anderen, gab ein paar Zahlen ein und drückte die Eingabetaste. »Es ist wirklich unmöglich«, sagte er dann.
»Er stopft die finanziellen Lücken mit Drogengeld.«
»Aha …«
»Ich muss Folgendes wissen, und es wird absolut unter uns bleiben: Würde die Person, die hinter diesem Finanzierungssystem mit großen Bareinzahlungen steckt, Kenntnis davon haben, dass es sich um Drogengeld handelt?«
Bone schwang seinen Stuhl herum, bis er Lucas den Rücken zukehrte. Er sah hinüber zu einem Nussbaum-Bücherschrank mit Glastüren, der mit einer Reihe von Finanzliteratur, mehreren Computerhandbüchern, dem vollständigen Werk Joseph Conrads und einer abgegriffenen Ausgabe von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit voll gestopft war. Ein Exemplar der Oxford Study Bible – eine Sonderausgabe der Bibel, aus der ein Student bei Gottesdiensten in der College-
Kapelle in Oxford die Bibeltexte vorliest – lag seitlich eingezwängt auf dem Proust. Nach einigen Sekunden sagte Bone, ohne sich umzudrehen: »Er muss auf jeden Fall irgendetwas gewusst haben.«
»Aber nicht unbedingt, dass es Drogengeld ist?«, fragte Lucas Bones Rücken.
Bone drehte sich wieder herum. Er hatte ein schmales, irgendwie an einen hungrigen Wolf erinnerndes Gesicht. Er grinste, zeigte die Zähne.
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