Nachtblind
im Studio.«
»Haben Sie was dagegen, wenn ich ein bisschen mit ihm plaudere?«
»Nein, machen Sie das ruhig. Ich lasse Sie holen, wenn wir weitermachen können.«
Das Studio bestand aus fünf Räumen: Einem großen Zimmer mit herunterziehbaren Papierrollen an der Wand – Funktion nicht erkennbar; einem kleineren Zimmer mit seltsamen Tischen, auf denen gekrümmte milchweiße Plastikgegenstände lagen – Funktion nicht erkennbar; einem kleinen Zimmer mit mehreren abgedeckten Scheinwerfern und einem halben Dutzend verschiedener Stühle, offensichtlich ein Porträtstudio; einem Büro sowie einem Lagerraum; dazu noch der Eingangsflur.
Lucas fand James Graf im Büro vor. Er trug ein schwarzes Stehkragenhemd und eine schwarze Hose und hatte einen dünnen schwarzen Bart. Er sieht aus wie der Prototyp eines Beatniks in den alten Zeiten, dachte Lucas. Graf lag auf einer Couch und hatte einen Arm über die Augen gelegt. Lucas zog einen wuchtigen Drehstuhl vor die Couch und setzte sich hin. Graf hob den Arm von den Augen und starrte Lucas an, sagte nichts. Er hatte geweint, wie Lucas sah.
»Haben Sie irgendjemanden außerhalb des Studios oder des Appartements gesehen oder gehört, als Sie sich auf den Weg zum Supermarkt machten?«
»Ich habe doch schon alles gesagt …«
»Ich bin von der Stadtpolizei Minneapolis und bearbeite den Mordfall Alie’e Maison«, sagte Lucas. »Ich habe einige Fragen an Sie. Haben Sie nun jemanden gehört oder gesehen?«
»Ich habe niemanden gesehen, aber wir haben während der Arbeit hin und wieder irgendwelche Leute draußen im Flur gehört«, sagte Graf. »Irgendwer läuft immer da draußen rum. Die Leute hier arbeiten manchmal die ganze Nacht durch, und sie laufen dann oft auch durch die Flure.«
»Aber Sie haben niemanden gesehe n ?«
»Nein, aber ich habe eine Stimme erkannt. Joyce – ihren Familiennamen kenne ich nicht; sie ist Künstlerin, wohnt auf der anderen Seite des Flurs. Ich hörte sie schreien und durch den Flur laufen. Lachen. Das war ein paar Minuten, bevor ich rausgegangen bin. Ich habe das der Polizei von St. Paul gesagt.«
»Standen verdächtige Wagen auf dem Parkplatz?«
Graf legte den Kopf in den Nacken, schaute zur Decke, dachte nach, schüttelte dann den Kopf. »Tut mir Leid, mir ist kein verdächtiger Wagen aufgefallen. Aber da war was anderes Ungewöhnliches – ungefähr um zwei Uhr klingelte das Telefon, aber der Anrufer legte sofort wieder auf, ohne sich zu melden. Auch das habe ich den St.-Paul-Cops gesagt, sie überprüfen es.«
»Diese Künstlerin namens Joyce lief also im Flur rum … Aus welchem Grund?«
»Das weiß ich nicht.« Graf stemmte sich hoch, setzte sich auf die Couch. »Aber verstehen Sie, das war hier unten . Er ist aber oben ermordet worden, und wenn man von außen ins obere Stockwerk kommen will, muss man den ganzen Weg bis zur Mitte des Gebäudes gehen und dort den Aufzug nehmen oder durchs Treppenhaus hochlaufen. Es sei denn, man steigt die Feuerleiter hoch. Wenn der Mörder also hier im Flur gewesen wäre, hätte Joyce ihn wahrscheinlich gesehen.«
»Sie glauben nicht, er hätte hier reinkommen können?« Lucas nickte in Richtung Eingangstür.
»Nein. Amny war auf dem Weg über die Wendeltreppe nach oben, als ich ging, und die Schlösser verriegeln sich automatisch, wenn man die Eingangstüren hier und auch oben von außen zuzieht. Und die Türen sind aus Stahl. Wir haben im Studio eine Foto- und Computerausstattung im Wert von rund hunderttausend Dollar, und es wimmelt hier nur so von Dieben. Dauernd wird was geklaut, und so haben wir gute Türen einbauen lassen. Mit guten Schlössern. Ich denke also, der Mörder ist in den oberen Stock gegangen und hat dort an die Tür geklopft, und als Amny sie aufmachte, hat die Bestie ihn umgebracht.«
»Würde Plain denn ohne weiteres die Tür aufmachen, wenn jemand klopft?«
»Nun … ich glaube, ja. Ich meine, jeder im Gebäude kennt jeden; wenn also jemand anklopft …« Er deutete in Richtung der Eingangstür. »Die Tür oben ist die gleiche wie die hier: solider Stahl, kein Fenster, kein Spion. Wenn jemand klopft, muss man die Tür öffnen, um zu sehen, wer es ist. Und vielleicht …«
»Was?«
»Vielleicht hat Amny gedacht, ich sei zurückgekommen und hätte noch irgendeine Frage.«
»Wie oft kam es denn vor, dass er Sie zu Besorgungen losgeschickt hat?«
»Meistens nur nachts, wenn wir arbeiten mussten. Ich habe dann was zu essen geholt, und wir haben es oben in der
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