Nachtblüten
ich die Papiere hätte, könne ich mich ja nach etwas Besserem umsehen.
Bevor ich hierherkam, habe ich in einer Tanzschule die Fußböden gescheuert und die Toiletten geputzt.
Das ist jetzt fast anderthalb Jahre her. Ich kann nicht zurück! Werden Sie mich zurückschicken?«
»Mach dir darüber keine Sorgen.«
»Ich habe die Manschettenknöpfe nicht gestohlen, die sie in meinem Zimmer gefunden haben, ich schwöre es! Ich weiß, einige der Dienstboten glauben, ich sei’s gewesen. Die Haushälterin zum Beispiel und ein paar von den Gärtnern. Ich hörte, wie einer von ihnen sagte, ich sei Albaner, und Albaner sei bloß ein anderes Wort für Dieb.
Und das war sogar noch bevor der Sekretär sagte, daß ein paar der gestohlenen Sachen in meinem Zimmer gefunden worden seien, als die Carabinieri das zweite Mal kamen, einen Tag, nachdem Sie mit Sir Christopher gesprochen hatten. Sie mögen die Sachen ja bei mir gefunden haben, aber ich habe sie nicht dort versteckt.«
»Nein, nein… Meine Männer haben gar nichts gefunden.«
»Sie haben aber meine Fingerabdrücke genommen, und dann sind Sie ja ein paar Tage später mit einem Haftbefehl für mich zurückgekommen – das hat man mir jedenfalls erzählt. Der Sekretär sagte, er hätte Sie abgewimmelt, indem er Ihnen versicherte, Sir Christopher würde keine Anzeige erstatten, weil er es nie erfahren würde, und daß man es ihm gar nicht erst sagen werde, weil er so krank sei und sich nicht aufregen dürfe. Er sagte, ich brauchte mich nicht zu fürchten, er und Sir Christophers Anwalt würden mich schon beschützen.
Der einzige, dem ich’s doch erzählt habe, war Jim, der Engländer, der im Garten arbeitet. Wir sind gleichaltrig, Jim und ich, und gehen manchmal zusammen runter in die Stadt.
Er meinte, sie wollten mir nur Angst einjagen, damit ich den Mund halte und nicht sage, was hier vorgeht. Er meinte, wenn Sie die Manschettenknöpfe wirklich bei mir gefunden hätten, dann hätten Sie mich darauf angesprochen.«
»Hätten wir auch.«
»Er meinte, Sie seien in Ordnung. Aber er dachte und der Obergärtner dachte es auch, daß es bei dem Diebstahl in Wahrheit um die Haarbürsten gegangen sei, und zwar wegen der Signora Hirsch, Sir Christophers Stiefschwester. Sie hielten es für möglich, daß sie vielleicht nur eine Hochstaplerin war, und um das beweisen zu können, ohne Sir Christopher etwas zu sagen, hätten sie ein paar Haare aus den Bürsten für eine DNA-Analyse gebraucht. Wenn die bestätigt hätte, daß sie nicht seine Schwester war, hätten sie sie verjagt. Aber dann schienen sie den Plan aufgegeben zu haben. Natürlich erübrigte sich das Ganze, als die Signora starb.«
»Das ist alles Unsinn, Klatsch, weiter nichts. Sie haben diesen Kleinkram gestohlen und bei dir versteckt, weil jemand in deiner Position so was leicht hätte beiseite schaffen können. Sie brauchten dich, verstehst du? Sie wollten Sir Christopher daheim behalten, damit sie ihn besser unter Kontrolle hatten, als er schwächer wurde. Sie wollten aber auch keine Pflegerin im Haus, niemand Außenstehenden, der gegen sie hatte aussagen können. Sie wollten dich hierbehalten und dich durch die Ängste, die sie dir einflößten, abhängig machen.«
»Aber die Haushälterin hat doch mit angehört…«
»Vielleicht. Mag sein, daß sie mit dem Gedanken spielten, als sie die Haarbürsten entwendet hatten. Trotzdem ist es nicht mehr als Tratsch. Sie wußten, daß Sara Hirsch Sir Christopher besucht hatte. Er wird ihnen gesagt haben, daß sie wirklich seine Stiefschwester war. Und sie müssen gemerkt haben, daß sie ganz und gar nicht der Typ einer Hochstaplerin war. Hast du die Signora einmal gesehen?«
»Wir haben sie alle gesehen. Sie kam öfter und trank mit Sir Christopher im Garten Tee. Ich war bei ihm, als er in der Zeitung las, daß man sie tot aufgefunden habe, und gleich danach hatte er den Schlaganfall. Er war, auf seinen Stock gestützt, aus dem Gartenstuhl aufgestanden und ein paar Schritte gegangen, und ich folgte ihm mit dem Rollstuhl. Da entglitt ihm plötzlich der Stock, und er ist gestürzt. Aber er war bei Bewußtsein und wollte mir unbedingt etwas sagen, doch anscheinend bekam er keine Luft, und sein Gesicht war ganz verzerrt. Nach ein paar Tagen ging es mit dem Sprechen wieder etwas besser, aber er hat seine Schwester nie mehr erwähnt. Dafür sprach er manchmal von seinen Eltern.«
Der Maresciallo trat näher und betrachtete eine Fotografie, die im silbernen Rahmen auf dem
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