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Nachtblüten

Nachtblüten

Titel: Nachtblüten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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Stimme kaum zu hören.
    »Sagten Sie zweimal?«
    »Ja.«
    Man merkte, daß er einen trockenen Mund hatte. Der Maresciallo gab ihm Zeit, sich zu sammeln. »Nun, der Doktor sagte, als er gerufen wurde, sei Sir Christopher seit gut zwölf Stunden tot gewesen, das würde es erklären, meinen Sie nicht auch, Capitano?«
    Der Stoßseufzer des Jungen war deutlicher vernehmbar als seine Antworten es gewesen waren.
    »Haben Sie vielen Dank, Sie beide«, sagte der Capitano.
    »Und nun sollten wir den Maresciallo allein lassen, damit er das Zimmer überprüfen und den erforderlichen Bericht schreiben kann. Es sei denn, Sie…?« Er hob die Brauen und sah den Staatsanwalt fragend an.
    »Nein, nein, mir scheint, die Sachlage ist ziemlich klar. Also räumen wir das Feld, damit der Maresciallo seinen Bericht vorbereiten kann. Bürokratie, der Fluch unseres Berufes.« Sie wandten sich zur Tür, Giorgio als letzter. Im Hinausgehen spürte der Junge eine schwere Hand auf seiner Schulter.
    »Giorgio? Darf ich Sie Giorgio nennen?«
    »Ja…«
    »Sie müssen verzeihen, aber Ihren Familiennamen habe ich nicht behalten – und Ihren richtigen Vornamen könnte ich nicht aussprechen – lassen Sie sie gehen, lassen Sie sie ruhig gehen. Sie haben es doch nicht besonders eilig, oder?«
    »Nein.«
    »Dann bleiben Sie und gehen Sie mir ein wenig zur Hand. Zeigen Sie mir die Glocke, von der Sie sprachen.«
    Die Augen des Jungen richteten sich ohne Zögern auf den Nachttisch. Ein Kästchen mit Einlegearbeit, eine Nachttischlampe, eine gefüllte Wasserkaraffe mit einem umgedrehten Glas über dem Stöpsel.
    »Ja… dort hätte ich sie auch vermutet, aber sie ist nicht da. Ich frage mich, wo sie wohl hingekommen ist. Meinen Sie, sie ist in der Aufregung verräumt worden?«
    »Ja. Ja, so muß es gewesen sein… Entschuldigen Sie, ich … ich muß mal kurz zur Toilette.«
    Der Maresciallo nahm die Hand von seiner Schulter, aber als der Junge auf die kleine Tür zuging, sah man ihm an, daß er ihr Gewicht immer noch auf sich lasten fühlte.
    »Augenblick noch – tut mir leid, aber wenn Sie mir nur rasch eine Kleinigkeit beantworten könnten – was waren das für Papiere, die Sir Christopher an diesem letzten Abend durchgesehen hat? Ich weiß, was es bedeutet, wenn man die rechte Hand nicht mehr gebrauchen kann. Bei meiner Mutter war’s genauso. Sie konnte die Zeitung nicht mehr halten, keine Papiere zusammenlegen. Dazu braucht man eben zwei Hände. Ich nehme an, Sie haben Sir Christophers Unterlagen für ihn geordnet?«
    »Ja.«
    Der Maresciallo machte ein paar Schritte auf den Jungen zu und pflanzte seine große Hand auf ein paar Dokumente, die auf dem kleinen Sekretär lagen. Um was für Papiere es sich handelte, war bei dem schummrigen Licht nicht zu erkennen. »Ich nehme an, das sind die Sachen, mit denen er sich an seinem letzten Abend beschäftigt hat, diese Versicherungspolice… nun ja, in seinem Zustand… war es das?«
    »Ja. Die Versicherungspolice.«
    »Schön. Dann ab mit Ihnen. Ich warte auf Sie.« Er schaltete die kleine Schreibtischleuchte ein. Die Papiere erwiesen sich als Bankauszüge. Der Maresciallo verließ das Zimmer. Der Junge würde bestimmt eine ganze Weile brauchen. Hundeelend hatte er ausgesehen, der Ärmste. Zum Glück waren die anderen noch in der Eingangshalle und unterhielten sich neben dem untätigen Springbrunnen.
    »Entschuldigen Sie.« Das Gespräch verstummte mit einem Schlag. »Ich habe eine Frage an Sie.« Er faßte Porteous scharf ins Auge. Was fand der Mensch denn so amüsant? Nun, dem Maresciallo war es herzlich egal, wenn Porteous ihn für eine komische Figur hielt. Er wollte nur eine Antwort. »Ich habe mich gefragt… Sie sagten doch, Sir Christopher hätte an seinem letzten Abend Papiere durchgesehen, und der Junge erinnert sich nicht, worum es dabei ging. Aber Sie als sein Sekretär haben derlei doch sicher für ihn in Ordnung gehalten, Privatdokumente und so weiter. Also wollte ich fragen, ob er sich an jenem letzten Abend mit den Briefen seiner Mutter beschäftigte, die drinnen auf dem Sekretär liegen. Der Junge meint ja, aber ich dachte, ich sollte mich doch bei Ihnen vergewissern.«
    »Das war ganz richtig von Ihnen. Ja, die Briefe seiner Mutter. Wir dachten, wir sollten sie einmal durchgehen und entscheiden, welche davon er aufheben wollte. Da sein Zustand sich zusehends verschlechterte, hatte Sir Christopher begonnen, seinen Nachlaß zu ordnen.«
    »Gut. Verstehe.« Er machte kehrt. Das anhaltende

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