Nachtblüten
er seinen Namen, vielleicht in England, und heiratete eine reiche junge Frau, brachte sie mit nach Florenz, wo sie ihm einen Sohn gebar. Aber bevor er nach England ging, hatte er im Hause seines Vaters über dem Laden in der Sdrucciolo de’ Pitti ein jüdisches Mädchen zurückgelassen, das von ihm schwanger war. Sir Christopher und Sara Hirsch waren Stiefgeschwister. Es gab Probleme wegen der Erbschaft. Wir wissen, was mit Sara geschah, aber…«
Der Maresciallo trat vor das große Bett und beugte sich über die Kuhle.
»… was geschah mit dir?«
Als der Staatsanwalt eintraf, wurden Porteous und Giorgio gerufen und aufgefordert zu schildern, was sich vor Sir Christophers Tod zugetragen hatte. Es war von Anfang an klar, daß Porteous damit keine Probleme hatte. Aber der Junge war nervös und peinlich darauf bedacht, nur zu reden, wenn er direkt angesprochen wurde. Die übrige Zeit ließ er den Blick nicht von Porteous, der flüssig drauflossprach. Alle Anwesenden standen. Niemand schien geneigt, sich in diesem Zimmer hinzusetzen.
Es gab scheinbar nur wenig zu berichten. Sir Christopher hatte den letzten Tag seines Lebens im wesentlichen genauso verbracht wie viele vorangegangene. Er stand zeitig auf, wie immer mit Giorgios Hilfe, und verbrachte die erste Hälfte des Vormittags auf der Terrasse mit Blick auf den Garten seiner verstorbenen Mutter, sein Lieblingsplatz und praktischerweise ganz in der Nähe seines Zimmers gelegen. Als es draußen zu heiß wurde, brachte man ihn wieder ins Haus, und Giorgio las ihm die Zeitung vor. Zu Mittag aß er sehr wenig, wirkte ansonsten aber ganz normal. Nach dem Essen legte er sich aufs Bett und schlief ein wenig. Am Nachmittag braute sich ein Gewitter zusammen, weshalb er nicht mehr hinauskonnte. Wieder las der Junge ihm aus der Zeitung vor, die Sir Christopher, der bei seinem letzten Schlaganfall den Gebrauch der rechten Hand teilweise eingebüßt hatte, nicht mehr allein halten konnte. Nachdem er zwischen sechs und sieben, wie gewöhnlich, diverse Geschäftspapiere durchgesehen hatte, nahm er ein leichtes Abendessen ein und wurde von Giorgio zu Bett gebracht. Er klagte über keinerlei Unwohlsein.
Doch als Giorgio am nächsten Morgen um halb acht in sein Zimmer kam und die Läden zur Terrasse hin öffnete, fand er ihn tot im Bett liegen. Er verständigte sofort den Sekretär. Gewiß hatte sein Zustand sich in letzter Zeit etwas verschlechtert, dennoch war dieser plötzliche Tod Sir Christophers, der so ganz ohne Vorwarnzeichen eintrat, natürlich ein furchtbarer Schock.
»Natürlich«, bekräftigte der Staatsanwalt.
»Versteht sich«, sagte der Capitano, und beide sahen den Maresciallo an.
Was erwarteten sie von ihm? Was sollte er sagen? All dieses Gerede und dann das Gesicht des Jungen… er hatte Giorgios Gesicht beobachtet und sich wieder daran erinnert, wie der Junge an jenem Tag geweint hatte. Jetzt war er verängstigt, verängstigt und tieftraurig. Nicht so der andere, der redete und redete, der sich seiner Sache sicher war und so selbstbewußt auftrat – aber warum log er dann? Der Junge wußte es.
»Als Sie ihn am letzten Abend verließen, was hat er da gemacht?«
»Er…« Ein Blick zu Porteous. »Ich glaube, er war eingeschlafen.«
Jetzt wandte sich auch der Maresciallo an Porteous.
»Und was war während der Nacht?«
»Ich verstehe nicht…?«
»Ach ja, das sollte ich Sie fragen… Giorgio ist Ihr Name, nicht wahr? Ich nehme an, Sir Christopher brauchte Sie, wenn er nachts rausmußte?«
»Ja.«
»Und wie ging das vor sich? Wo schlafen Sie?«
Giorgio zeigte auf eine hinter seidenen Portieren versteckte Dienstbotentür. »Dort über den Korridor. Ich habe da eine kleine Kammer, gleich neben dem Bad.«
»Und das ist die Klingelschnur, da neben dem kleinen Sekretär? So weit vom Bett entfernt?«
»Nein. Ich meine, ja. Die ist mit der Küche verbunden. Für mich benutzte Sir Christopher eine Handglocke aus Messing. Die konnte ich leicht hören. Die hat er auch immer mit nach draußen genommen, für den Fall, daß er mich dringend brauchen sollte.«
»Und in dieser letzten Nacht, hat er sie da gebraucht?«
»Ich… nein… nicht, daß ich wüßte.« Giorgio errötete, wieder suchten seine Augen die von Porteous, der ihm jedoch nicht zu Hilfe kam.
»Ist das denn nicht ein bißchen merkwürdig? Oder mußte er nachts nie raus?«
»Normalerweise schon, ja.«
»Einmal pro Nacht? Oder zweimal?«
»Zweimal.« Gegen das Tosen des Sturms war Giorgios
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