Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
kann ich nicht aufbringen ohne die Hilfe meines Mannes. Bitte!»
«Und Ihr Geliebter? Kann er auch nicht?»
«No, no, no! Sein Geld steckt vor allem in seinem Landbesitz in England. Das kann er nicht so einfach flüssigmachen! Außerdem will ich nicht weiterzahlen. Ich will, dass es aufhört!» Sie lag auf den Knien, schützte den Kopf mit beiden Armen, als erwarte sie Schläge.
«Kommen Sie, stehen Sie auf. Sie müssen nicht vor mir zusammenbrechen, Signora. Ich habe gesagt, dass ich versuchen werde, Ihnen zu helfen. Mehr kann ich nicht tun. Aber Sie können sich darauf verlassen! Ich gebe Ihnen meine private Handynummer, und Sie geben mir Ihre. Rufen Sie mich morgen um zehn Uhr an. Dann kann ich Ihnen sagen, ob es klappt, und wir werden die Einzelheiten besprechen. Und jetzt sagen Sie mir bitte Ihren Namen.»
Die Frau rappelte sich auf, suchte ihre Sachen zusammen, lehnte sich endlich an die Wand neben der Tür. Ihr Make-up war ein bisschen verschmiert, und sie bemühte sich sichtlich um Haltung.
«Donatella Cipriani», murmelte sie. «Wenn Sie meinen Namen irgendwem verraten, dann soll der Teufel Sie holen, Commissaria.»
Als Laura wieder allein war, dachte sie an das Gespräch mit ihrem Sohn Luca. Seine Pläne weckten in ihr mindestens so zwiespältige Gefühle wie der Auftritt von Donatella Cipriani, obwohl beide Entwicklungen ihr plausibel erschienen. Luca brauchte mehr männliche Vorbilder, völlig klar und trotzdem schmerzhaft. Sie hatte mal irgendwo gelesen, dass die Jungen bei den australischen Ureinwohnern ab einem gewissen Alter nicht mehr mit ihren Müttern sprechen durften, dass es ihnen sogar verboten war, ihre Mütter anzusehen. All das, um sie zu Männern zu machen.
«Wie diese Mütter wohl losgelassen haben», sagte sie leise vor sich hin. «Wahrscheinlich gab es für sie ein Trauerritual oder so was. Und was machen wir, die aufgeklärten, psychologisch durchtrainierten alleinerziehenden Mütter? Wir sind vernünftig, verständnisvoll. Weit und breit kein Trauerritual! Scheiße!»
Laura trat gegen ihren Papierkorb. Der knallte gegen die Seitenwand ihres Schreibtischs und fiel nicht einmal um. Es erfüllte sie mit tiefer Befriedigung, dass sie sich emotionale Entladungen erlauben konnte, ohne von Kollegen dabei beobachtet zu werden. Niemals würde sie in eines der Aquarien umziehen!
Sie griff nach dem Pappbecher voll Milchkaffee, den sie sich aus dem Automaten auf dem Zwischengang geholt hatte, nachdem sie Donatella Cipriani in ein Taxi gesetzt hatte. Ein Taxi, dessen Nummer sie notierte und dessen Fahrer seinen Ausweis vorzeigen musste und als dessen Ziel das
Hilton
-Hotel angegeben wurde. Vorsichtig schlürfte sie den schaumigen Kaffee, blieb kurz am Fenster stehen und schaute auf die beleuchteten Türme des Liebfrauendoms. Tauben flogen da oben herum, mitten in der Nacht. Seltsam. Wahrscheinlich lag es an den Scheinwerfern. Tauben mit Schlafstörung, dachte sie, setzte sich in ihren Ledersessel und fuhr ihren Computer hoch.
Nachdem die interne Suche unter dem Stichwort Cipriani nichts ergeben hatte, versuchte sie es bei Google. Da hatte sie ihn ziemlich schnell, den mutmaßlichen Ehemann: Ricardo Cipriani. Mailänder Unternehmer, Besitzer eines großen Baukonzerns, Mitglied der Lega Nord, jener rechtslastigen norditalienischen Partei, die immer wieder mit der Abspaltung des Nordens vom Süden drohte. Cipriani war Kandidat für einen Sitz im römischen Parlament.
Das Foto zeigte einen etwas bulligen Mann mit dichtem grauem Haar, kräftigem Kinn, durchdringendem Blick und dem Ansatz eines ironischen Lächelns. Er wirkte auf Laura wie jemand, den sie nicht gern zum Feind hätte.
Passt, dachte sie. Kein Wunder, dass die Signora ein bisschen nervös ist. Vielleicht ziehe ich die Sache mit Peter Baumann durch, obwohl es nicht in unsere Zuständigkeit fällt. Vielleicht rede ich mit dem Chef, vielleicht auch nicht.
Damit griff sie nach dem ersten Aktenordner und beschloss, spätestens um zwei Uhr morgens nach Hause zu fahren. Falls etwas passierte, konnte man sie immer noch aus dem Bett holen. Bei der niedrigen Rate an Gewaltverbrechen mit tödlichem Ausgang in München lag die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet in dieser Nacht ein Mord geschehen würde, fast bei null.
DONATELLA CIPRIANI fuhr vom Polizeipräsidium direkt zu ihrem Hotel. Es war eine kurze Strecke, fast nur geradeaus über die Isarbrücke. Nebelschwaden stiegen vom Fluss auf, krochen in die Straßen und Gassen,
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