Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
verwischten die Lichter der Weihnachtsdekoration. Obwohl Donatella im warmen Taxi saß, spürte sie beinahe körperlich, dass der Nebel kalt und feucht war, und sehnte sich nach einem heißen Bad in ihrem Hotelzimmer. Sie war diesmal im
Hilton
abgestiegen, ihr Geliebter im
Vier Jahreszeiten
. Dieses Versteckspiel erschien ihr plötzlich lächerlich und unnütz.
Falls Ricardo sie beschatten ließ, hatte er ihre heimlichen Treffen trotzdem mitbekommen. Zwar konnte sie mehrere Geschäftstermine nachweisen, doch was bedeutete das angesichts der Rendezvous mit Benjamin Sutton. Ihre Gespräche mit den Geschäftspartnern waren nicht wirklich notwendig, und Ricardo wusste das.
Donatella war Möbeldesignerin und hatte ihr eigenes kleines Imperium aufgebaut. Aber es bröckelte. In China wurde billiger produziert, und die Chinesen betrieben eine geradezu schamlose Werkspionage.
Plötzlich kam ihr die verrückte Idee, dass ihr Ehemann Ricardo hinter dieser Erpressung stecken könnte. Ihm traute sie das durchaus zu. Er ließ sie für ihren Betrug bezahlen. Immer mehr, bis er sie finanziell ruiniert hätte und sie reumütig um Vergebung bitten würde. Vielleicht wollte er sie auch einfach nur los sein. Donatella spürte heftigen Schwindel, konnte die vorübergleitenden Lichter der anderen Autos, der Straßenlaternen, Fenster und Leuchtreklamen nicht mehr ertragen.
Nein, Ricardo konnte nicht dahinterstecken, er durfte es nicht! Und sie selbst durfte die Nerven nicht verlieren. Immerhin hatte sie es geschafft, zur Polizei zu gehen und eine Kommissarin halbwegs zu überzeugen. Sie hatte ihre Verfolger abgehängt, dessen war sie sich sicher. Ein Etappenerfolg, immerhin! Jetzt musste sie warten und Ruhe bewahren.
Der dunkle Ziegelbau der Philharmonie am Gasteig tauchte vor dem Taxi auf, erschien ihr fast bedrohlich. Von hier waren es nur noch ein paar hundert Meter bis zum Hotel. Sie versuchte, an die Nacht zu denken, die vor ihr lag, versuchte sie schon jetzt zu gestalten. Um diese Nacht zu überstehen, musste sie ihr Form und Inhalt geben.
Das Bad war ganz wichtig. Ein langes entspannendes Bad. Und dann irgendwas zu trinken, vielleicht bereits während des Bades. Keinen Wein, etwas Stärkeres. Whisky wäre angebracht. Normalerweise lehnte sie starke Getränke ab, doch heute Abend wäre Whisky wahrscheinlich genau das Richtige. Whisky würde sie müde machen. Dann könnte sie ins Bett gehen und noch ein bisschen fernsehen.
Stille würde sie nicht ertragen. Das wusste sie. Stille konnte sie überhaupt schlecht ertragen. Stille machte sie auch unter normalen Umständen unruhig und ängstlich.
Als der Wagen mit einem Ruck vor dem Portal des
Hilton
anhielt und ein Hoteldiener die Wagentür öffnete, schrak sie zusammen und hätte beinahe vergessen, den Fahrpreis zu bezahlen. Sie war schon mit einem Bein draußen, als der Fahrer protestierte.
«Wenn Sie mir Ihre Zimmernummer nennen, erledige ich das für Sie, gnädige Frau», sagte der Hoteldiener auf Englisch. Sie starrte in sein Gesicht, das sich zu ihr herabbeugte. Er war kein Deutscher, sah südländisch aus, sehr dunkel und hübsch. Er lächelte. Lag da nicht eine leise Anzüglichkeit in diesem Lächeln? Vielleicht wartete er darauf, dass sie ihm mit der Zimmernummer eine Einladung zukommen ließ?
Heftig schüttelte Donatella den Kopf, drückte dem Taxifahrer zwanzig Euro in die ausgestreckte Hand, nickte dem hübschen Portier zu und ging schnell durch die Eingangshalle zur Rezeption.
«Gibt es eine Nachricht für mich?» Sie fragte, obwohl sie eigentlich noch nie eine schriftliche Nachricht in irgendeinem Hotel bekommen hatte, wenn sie sich mit Benjamin traf. Sie wusste selbst nicht, warum sie die Frage stellte. «Zimmer 203», fügte sie hinzu.
Die maskenhaft geschminkte junge Frau hinter der Rezeption lächelte, ließ ihre rechte Hand über die unzähligen Fächer gleiten und zog aus Nummer 203 tatsächlich einen Umschlag heraus.
«Bitte, gnädige Frau», sagte sie und reichte Donatella den Brief. «Was kann ich sonst noch für Sie tun?»
«Wissen Sie zufällig, wer das hier abgegeben hat?» Donatella bekam kaum Luft.
«Nein, tut mir leid. Mein Kollege muss die Nachricht entgegengenommen haben.»
«Wo ist der Kollege jetzt?»
«Nach Hause gegangen. Ich habe ihn vor zehn Minuten abgelöst.»
«Kommt er morgen wieder?»
«Ja, natürlich. Er hat die Mittagsschicht. Stimmt etwas nicht?»
«Doch, doch. Ich war nur neugierig. Gute Nacht.»
Nicht auffallen, dachte
Weitere Kostenlose Bücher