Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
im Schließfach abstellen und den Schlüssel für Herrn Meier an der Information abgeben. Dann fliege ich ab, und Sie oder andere Polizisten in Zivil beobachten das Schließfach. Sie verhaften ihn, und dann wird ihm hier der Prozess gemacht. Ich werde unter Wahrung meiner Anonymität aussagen. Damit wäre dann diese unerträgliche Sache aus der Welt.»
«Klingt sehr einfach, Signora. Allerdings läuft es meistens nicht so, wie man sich das vorstellt. Welche Rolle soll übrigens Ihr Liebhaber in dieser Inszenierung spielen?»
Jetzt senkte sich das Kinn der Signora wieder, und sie schloss kurz die Augen. «Ich möchte nicht, dass er in diese Geschichte hineingezogen wird. Er ist ein wichtiges Mitglied der englischen Gesellschaft. Es ist vollkommen unnötig, dass sein Name genannt wird oder er als Zeuge aussagt. Schließlich habe ich die Erpresserbriefe bekommen, nicht er.»
«Wie edel von Ihnen. Haben Sie eigentlich jemals in Erwägung gezogen, dass Ihr Liebhaber in diese Erpressung verwickelt sein könnte?»
Die Signora fuhr auf.
«Wir können Sie es wagen! Niemals ist Benjamin in diese schreckliche Geschichte verwickelt! Er ist ein Gentleman, ein wunderbarer, feinfühliger, humorvoller Gentleman. Aber Polizisten müssen ja überall Verbrecher sehen. Wahrscheinlich halten Sie mich auch für eine Kriminelle, oder?! Wahrscheinlich denken Sie, dass ich nur Geld für die Mafia wasche, indem ich es per Schließfach an einen Herrn Meier übergebe. Ist es so, eh?»
Ihre Stimme war schrill geworden, und sie stampfte sogar mit dem Fuß auf.
Benjamin heißt er also, dachte Laura. Laut sagte sie: «Ich denke gar nichts, Signora. Ich wollte nur eine Frage stellen, die ich nicht ganz abwegig finde. Aber Sie haben diese Frage bereits überzeugend beantwortet.»
«Bene!» Die Frau atmete schwer, fasste sich dann aber wieder, erstaunlich schnell. «Was halten Sie von meinem Vorschlag?»
«Abgesehen davon, dass solche Aktionen nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fallen, ist er nicht schlecht. Aber ich werde die Angelegenheit an einen Kollegen weitergeben müssen.»
Jetzt presste die Frau beide Hände vor den Mund und starrte Laura mit aufgerissenen Augen an.
«Nein», flüsterte sie, «bitte nicht! Bitte helfen Sie mir, Commissaria. Ich kann diese Geschichte nur einmal erzählen. Sie sind eine Frau, Sie haben eine italienische Mutter. Sie müssen verstehen, dass meine Situation ausweglos ist, wenn etwas an die Öffentlichkeit gelangt. Mein Mann hat eine hohe Stellung in Italien … meine Kinder, sie würden in einen Abgrund stürzen … wenn sie … waren Sie noch nie verliebt, Commissaria? Waren Sie noch nie einsam und völlig bezaubert, weil ein anderer Mensch Sie gesehen hat, neu entdeckt hat, Ihnen neue Lebensfreude geschenkt hat?»
Doch, dachte Laura, all das! Perfekte Vorstellung. Alle Achtung. Trotzdem glaube ich nur die Hälfte dieser Erzählung. Ich kann verstehen, dass sie sich und ihre Stellung schützen will, aber es wird nicht leicht werden. Das sind genau die Geschichten, nach denen sämtliche Medien gieren, und es sind Geschichten, mit denen Informanten Geld machen können.
«Natürlich …», Laura räusperte sich, «ich kann mir das alles vorstellen. Deshalb werde ich versuchen, eine Lösung zu finden. Allerdings kann ich Ihnen erst morgen konkrete Antworten geben.»
«Erst morgen? Ich brauche diese Antworten jetzt! Morgen fliege ich zurück!»
«Aber erst am Nachmittag. Sie werden den Koffer also erst am Nachmittag zum Schließfach bringen. Sie müssen mir ein paar Stunden Zeit geben, um die Überwachung zu organisieren! Vergessen Sie nicht: Ich bin nicht zuständig für Ihren Fall!»
Mit geballten Fäusten stand die Signora vor Lauras Schreibtisch.
«Ich dachte immer, die Deutschen seien so tüchtig! Und jetzt brauchen Sie eine ganze Nacht, um die lächerliche Überwachung eines Schließfachs zu organisieren! Und dann behaupten Sie noch, dass Sie nicht zuständig sind! Sie sind Commissaria, verdammt! Was hindert Sie, als Commissaria zu handeln?»
«In Ihrem Fall ein Mord, Signora, vielmehr ein fehlender Mord.»
Die Italienerin presste die geballten Fäuste gegen ihre Brust und richtete den Blick zur Decke, und Laura fragte sich bei diesem Anblick, ob sie eigentlich Lust hatte, ihr zu helfen.
Jetzt griff die Signora nach Schal und Mantel, ließ beides zu Boden gleiten, sank dann selbst schluchzend in die Knie. «Bitte, Commissaria», wimmerte sie. «Er will diesmal fünfhunderttausend. Das
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