Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Tommasini und D’Annunzio ebenfalls. Es sei eine Großfahndung im Gange, und die wenigen Kollegen, die zur Wache abgestellt seien, könnten unmöglich das Kommissariat verlassen.
Auch gut, dachte Laura. Jetzt muss ich mich eben aufraffen. Sie machte sich einen Kaffee, der ihr nicht schmeckte, entschied sich für ein Taxi und gegen Guerrinis Lancia, dessen Schlüssel sie von Tommasini bekommen hatte.
Als sie den Campo überquerte, fegte kalter Wind ein paar Plastiktüten und Zeitungsseiten vor sich her. Vor den Restaurants und Bars standen kleine Gruppen fröstelnder Raucher. Die Geschäfte waren noch offen, und Laura hatte den Eindruck, dass sie durch ihren langen Schlaf irgendwie den Anschluss verpasst hatte.
Der Taxifahrer war Afrikaner, sehr schwarz und zurückhaltend. Als Laura das Krankenhaus als Ziel angab, nickte er nur. Auf halbem Weg fragte er plötzlich in ziemlich verständlichem Italienisch, ob es etwas Ernstes sei.
«Etwas sehr Ernstes», antwortete Laura.
«Das tut mir sehr leid, Signora. Ist es Ihre Mutter, der Vater?»
«Nein, mein Mann.»
«Eine Operation?»
«Ja, eine Operation.»
«Ah, er wird wieder gesund, ganz sicher, Signora! Meine kleine Tochter war auch in diesem Krankenhaus, und sie haben gesund gemacht mia figlia!»
Er hielt vor dem Eingang des Krankenhauses, lächelte und tätschelte Lauras Arm.
«Danke, Sie sind sehr nett.» Laura ließ sich das Wechselgeld nicht herausgeben und war wirklich dankbar für seine Freundlichkeit. Noch ein so freundlicher Mensch, und ich breche in Tränen aus, dachte sie.
Der junge Mann an der Rezeption schien sie sofort zu erkennen, lächelte ebenfalls außerordentlich freundlich und erklärte ihr etwas umständlich, dass Dottor Fausto mit ihr sprechen wolle. Wieder stieg dieses merkwürdige Schwindelgefühl in Laura auf, das sie kurz vor ihrer Ohnmacht empfunden hatte. Es hat nichts zu bedeuten, dachte sie, aber das half auch nicht. Noch immer saß eine nagende Furcht in ihr, und die war durch den Aufenthalt in Guerrinis verlassener, aufgeräumter Wohnung nicht besser geworden.
«Was will denn der Doktor von mir?», fragte sie, doch der junge Mann, der sie in seiner Schlaksigkeit ein bisschen an ihren Sohn Luca erinnerte, kehrte seine Handflächen nach außen und zuckte die Achseln.
«Ich weiß nicht, Signora. Ich weiß nur, dass er bald nach Hause gehen will, weil er schon seit einem halben Tag Überstunden macht. Er hat nur auf Sie gewartet. Ich werde ihn jetzt anrufen und sagen, dass Sie da sind!»
Laura begann auf und ab zu gehen, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zum Glück erschien Dottor Fausto schon nach wenigen Minuten, ohne weißen Kittel, im Anzug, den Autoschlüssel in der Hand.
«Na, haben Sie endlich ausgeschlafen?»
Laura nickte.
«Es geht ihm besser, aber er braucht Ruhe. Wir haben ihn auf die Wachstation verlegt, und wenn es morgen noch ein bisschen besser ist, dann kann er in ein ganz normales Einzelzimmer. Ich habe das Gefühl, dass er am liebsten flüchten würde. Also überzeugen Sie ihn, dass er noch eine Weile bleiben muss. Machen Sie nicht so ein zweifelndes Gesicht: Es geht ihm wirklich besser, cara Signora Laura! Ich fahre jetzt nach Hause, um mich auszuschlafen. Buona notte!» Er winkte mit hocherhobenem Arm und war schon aus der Tür.
Commissario Guerrini versuchte sich auf die Begegnung mit Laura vorzubereiten. Er wollte sie genau beobachten und abwarten, weil er sicher war, dass Laura klare Fragen stellen würde. So gut kannte er sie inzwischen. Er verfluchte sich dafür, dass er an jenem Abend zu viel getrunken hatte, und konnte seine eigenen ruhigen Überlegungen nach dieser Nacht mit Carlotta nicht mehr verstehen.
Es war relativ einfach, ruhig und unabhängig zu sein, wenn keine Gefahr bestand, dass zweifelhaftes Verhalten entdeckt wurde. Er wollte Laura weder verletzen noch betrügen. Und schon gar nicht wollte er sie verlieren. Ihm war heiß, er wälzte sich unruhig herum, ließ es aber wieder bleiben, weil seine Brust schmerzte.
Inzwischen hatte eine Schwester namens Gina Dienst, maß sein Fieber und machte ein besorgtes Gesicht.
«Es ist wieder gestiegen», murmelte sie vorwurfsvoll.
«Das hat nichts zu bedeuten», gab Guerrini zurück, während er Laura entgegensah, die in diesem Augenblick ins Zimmer trat. Für ihn war es beinahe so, als sähe er sie zum ersten Mal, immerhin zum ersten Mal bewusst, seit er aufgewacht war. Ihr halblanges Haar war lockiger und heller, als er es in Erinnerung
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