Nachtglut: Roman (German Edition)
zu melden.« Er stockte kurz in seinem Bericht.
»Mein Vater wollte nichts davon hören. Er weigerte sich in jeder Hinsicht. Wegen einer billigen Hure wollte er sich nicht einen Haufen rechtliche Schwierigkeiten aufladen. So ungefähr drückte er sich aus. Es gab einen Riesenstreit, der in Gewalt endete… Erst haben wir uns geprügelt, dann hab ich ihn in den Fluß gestoßen, weil ich hoffte, das würde ihn ernüchtern – wieder zu Verstand bringen. Aber er riß mich mit sich ins Wasser und hielt mich unten. Ich hab mich gewehrt wie ein Wahnsinniger. Er ließ mich nicht hochkommen, sondern drückte mich unter Wasser. Seinen eigenen Sohn. Ich dachte, Himmel, er will mich umbringen! Jeden Moment drohte mir die Lunge zu platzen, aber er ließ mich nicht an die Oberfläche«, wiederholte Jack mit brüchiger Stimme.
»Ich strampelte und grapschte nach allem, was ich erwischen konnte. Am Ende kriegte ich seine Messerscheide zu fassen. Im Nu hatte ich die Waffe rausgerissen und stach ihn damit in den Arm. Er ließ mich los. Ich kam hoch. Aber mein Angriff hatte ihn nur noch wütender gemacht. Er fing an, meine Mutter und mich aufs gemeinste zu beschimpfen.
Wir hätten sein Leben verpfuscht – er wollte nie was mit uns zu tun haben und hätte mich ständigen Jammerlappen um seinen Hals satt. Dann ging er wieder auf mich los. Er würgte mich und stieß mich unter Wasser. Da habe ich ihn getötet.«
Lange Zeit blieb es still. Wie Fremde in einem Lift vermieden sie Blickkontakt und Sprechen. Jedes Wort hätte jetzt banal geklungen, aber das Schweigen war in der Tat noch schlimmer.
Schließlich räusperte Jack sich geräuschvoll. »Ich hatte Angst, das Messer in den Fluß zu werfen. Vielleicht würde man ihn mit Netzen nach Spuren absuchen. Darum habe ich es behalten. Anfangs aus Furcht, gefaßt zu werden. Später als eine Art Talisman. Es war mir eine ständige Mahnung daran, wozu ich fähig war, und es machte mir angst. Ich könnte nicht sagen, wie oft ich seit dieser Nacht den Wunsch hatte, es wegzuwerfen – aber irgendwo stellte es für mich auch einen Schutz dar vor mir selbst. Sogar gestern schaffte ich es erst, das Messer auf Herbold zu werfen, als ich überhaupt keine Wahl mehr hatte.«
»Damals hatten Sie auch keine Wahl, Johnny«, sagte Ezzy ruhig. »Sie haben in Notwehr gehandelt.«
»Glauben Sie?« Er lachte bitter. »Das würde ich auch gern glauben, aber da bin ich nicht so sicher. Ich war jünger und stärker als er. Vielleicht hätte ich ihn mit der Zeit doch noch niederringen und ihm Vernunft beibringen können. Oder es wäre mir gelungen, vor ihm davonzulaufen. Hatte ich wirklich keine andere Wahl? Ich weiß es nicht. – Aber es vergeht nicht ein Tag, an dem ich mich nicht frage, ob es notwendig war, ihn umzubringen. Nur eines weiß ich mit Sicherheit: Als ich ihm das Messer in die Brust stieß, da wünschte ich seinen Tod.«
»Das wäre bei jedem so, der um sein Leben kämpft.«
Jack sah ihn einen Moment an. Dann senkte er den Blick, ohne etwas zu sagen.
»Was haben Sie mit ihm angefangen?«
»Ich hab ihn flußabwärts gezogen. Stundenlang bin ich den Fluß runter gewatet und hab ihn hinter mir hergeschleppt. Als es fast Tag war, hab ich ihn ans Ufer gezogen, im Wald mit bloßen Händen eine Grube ausgehoben und sie mit großen Steinen und Felsbrocken zugedeckt. Vermutlich liegt er heute noch dort. Den ganzen Tag habe ich gebraucht, um nach Hause zu kommen. Dann schlief ich vierundzwanzig Stunden lang. Ich war beim Packen, als Sie plötzlich aufkreuzten und nach Patsy McCorkle fragten. Merkwürdigerweise haben Sie von meiner Angst nichts bemerkt.«
»Sie waren noch ein Junge, Johnny.«
»Oh, ich war kein Kind mehr. Alt genug, um zu wissen, daß ich schleunigst aus Blewer verschwinden mußte, ehe jemandem die Abwesenheit meines Vaters auffiel. Ich habe alle unsere Rechnungen in der Stadt beglichen, dem Hauswirt die Miete gebracht und ihm erzählt, wir zögen um und wüßten noch nicht wohin – in derselben Nacht hab ich mich auf einen Güterzug geschwungen.« Erschöpft faltete Jack die Hände auf der Bettdecke.
»Seitdem bin ich eigentlich immer auf der Flucht gewesen. Unentwegt saß mir die Angst im Nacken. Sorgfältig achtete ich darauf, nie zu lange an einem Ort zu bleiben. Jeglicher Bindung ging ich aus dem Weg, die mich daran hätte hindern können, von einem Tag auf den anderen meine Sachen zu packen und zu verschwinden.« Er sah Anna an und wandte sich gleich wieder ab, als
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