Nachtglut: Roman (German Edition)
den Arm, einem Brummschädel und dem brennenden Verlangen erwacht, unverzüglich mit dem Patienten zu sprechen, der in einem anderen Zimmer auf derselben Station lag wie er. Und er war entschlossen, sich durch nichts, sei es Tropf oder Lernschwester, von dieser Unterredung abhalten zu lassen.
Er schaffte es den Korridor hinunter, ohne aufgehalten zu werden. Als er die Tür erreicht hatte, die er suchte, stieß er sie auf und schob sich mit seinem Infusionsgestell, dessen eine Rolle quietschte, ins Zimmer. Der Patient wendete den Kopf nach dem Geräusch. Er sah arg ramponiert aus, aber Ezzy hatte den Eindruck, daß er schon seit einiger Zeit wach war, trotz geschlossener Augen. Ferner hatte Ezzy den Eindruck, daß er nicht überrascht war, ihn jetzt zu sehen.
»Hallo, Sheriff Hardge«, sagte er.
»Hallo, Johnny.«
Jack Sawyer lächelte wehmütig. »So hat mich lange niemand mehr genannt.«
»Wann haben Sie Ihren Namen geändert?«
Er blickte zur Decke hinauf. Ezzy betrachtete sein Profil und fragte sich, wie ihm diese unverkennbare Ähnlichkeit bloß entgehen konnte. Nun, er hatte eben nicht richtig gesucht.
Sawyer schaute noch eine Weile zur Zimmerdecke hinauf, dann wandte er sich wieder Ezzy zu. »Ich habe mich seit der Nacht damals nicht mehr Johnny genannt.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Mit dieser Nacht hat sich vieles verändert.«
Die beiden Männer tauschten einen langen Blick schweigenden Verstehens.
Dann kam Anna Corbett mit einem Becher Kaffee herein. Im Gegensatz zu Jack Sawyer schien sie beinahe perplex, Ezzy hier anzutreffen.
»Guten Morgen, Anna«, sagte er.
Lächelnd stellte sie den Kaffeebecher auf den Nachttisch neben dem Bett und schrieb etwas auf einen Block, den sie ihm hinhielt.
»Sie brauchen mir nicht zu danken«, sagte Ezzy, nachdem er es gelesen hatte. »Ich bin froh, daß Ihnen und Ihrem kleinen Sohn nichts passiert ist. Das ist doch die Hauptsache. Wie geht es dem Kleinen?«
»Er ist bei Marjorie Baker«, berichtete Jack. »Anna hat sie gebeten, mit einem Kinderpsychologen zu sprechen. David wird wahrscheinlich eine Zeitlang Therapie brauchen.
Mit der Zeit wird er das sicher alles überwinden. Kinder haben eine Menge Widerstandskraft.«
Anna schrieb wieder etwas für Ezzy auf. »Er macht sich Sorgen um Jack und ist mir böse, weil ich ihm nicht erlaube, ihn zu besuchen.«
Ezzy sah Jack an. »Er mag Sie, hm?«
»Und ich mag ihn. Er ist eine tolle kleine Persönlichkeit. Ich find’s furchtbar, daß er das gestern alles miterleben mußte.« Sein Bedauern war ebenso offenkundig wie seine Sorge um den Jungen. »Anna sollte bei ihm sein, anstatt mit mir hier Händchen zu halten.« Er sah sie an. »Aber sie weigert sich zu gehen.«
Die beiden betrachteten einander mit soviel Liebe und Verlangen, daß Ezzy rot wurde. Jack nahm ihre Hand und drückte sie an seine Lippen. Lange hielt er sie so, die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnete, sah Ezzy die Tränen.
»Das kommt wahrscheinlich von der Narkose«, sagte er beinahe schroff. »Die Schwester hat mir erklärt, daß manche Leute hinterher rührselig werden. Aber – jedesmal,
wenn ich mir vorstelle, wie das gestern hätte enden können…«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Anna neigte sich über ihn und küßte ihn zart. Dann holte sie einen Stuhl und schob ihn Ezzy hin. Dankbar setzte er sich. Er stand doch nicht so fest auf den Beinen, wie er sich eingebildet hatte. Außerdem legte Anna ihm eine Decke um die Schultern.
»Danke.«
Sie deutete mit fragendem Blick auf seinen Arm.
»Alles in Ordnung. Ich werd vielleicht beim Hufeisenwerfen nicht mehr ganz so zielsicher sein, aber abgesehen davon…« Er zuckte die Achseln.
Sie setzte sich aufs Bett und nahm Jacks Hand.
Ezzy sagte: »Ich hab noch gar nicht gefragt, wie es Ihnen geht. Was macht der Rücken?«
»Tut elend weh, aber der Arzt sagte mir, daß ich ein Glückspilz bin. Die Kugel hat das Rückgrat und lebenswichtige Organe verfehlt. Es war anscheinend eine Sache von Millimetern. Ich hätte leicht für immer gelähmt oder auch tot sein können.«
»Ja, da haben Sie Schwein gehabt! Das freut mich.«
Danach folgte ein unbehagliches Schweigen. Anna spürte es und sah etwas ratlos von einem zum anderen. Sie schrieb für Jack einige Worte auf.
Er sagte: »Nein, du brauchst nicht zu gehen. Es ist vielleicht sogar das Beste, wenn du die ganze Geschichte jetzt mitbekommst. Wenn du dann gehen willst, werde ich es verstehen.«
Eine steile Falte
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