Nachtglut: Roman (German Edition)
die Cola.«
Der Wunsch, Delray die Peinlichkeit zu ersparen, war einer der Gründe gewesen, warum Ezzy die Herbolds nicht festgenommen hatte, als die Gelegenheit dazu da war. Aber er hatte, wie sich jetzt herausstellte, Delray keinen Gefallen damit getan. Als er ihn diesmal aufsuchte, mußte er ihm mitteilen, daß nach seinen Stiefsöhnen in Verbindung mit dem Tod Patsy McCorkles gefahndet wurde.
»Wissen Sie, wo die beiden sind, Delray?«
»Wenn ich das wüßte, hätte ich sie schon zu Ihnen gebracht«, hatte Delray geantwortet, und Ezzy hatte ihm geglaubt.
»Das bringt dich eines Tages noch um!«
Ezzy war so tief in Gedanken gewesen, daß er Coras Kommen nicht gehört hatte. Ihre Stimme riß ihn mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Aber es war ein Kampf, aus der Vergangenheit herauszufinden, als müßte er sich aus einem Spinnennetz bedrückender Erinnerungen befreien.
Als er es endlich geschafft hatte, sah er lächelnd zu seiner Frau auf. »Ja, dir auch einen schönen guten Morgen!«
Cora fand den Morgen offenbar weder gut noch schön. Mit eisigem Schweigen füllte sie aus der Kanne, die sie mit herausgebracht hatte, seine Kaffeetasse auf, schenkte sich dann selbst ein und setzte sich neben ihn. Er konnte ihren Körperpuder riechen. Solange sie verheiratet waren, rieb sie sich nach jedem Bad damit ein.
»Was wird mich noch umbringen?« fragte er.
»Diese fixe Idee.«
»Meine einzige fixe Idee bist du.« Er griff über den schmalen Raum, der die beiden Liegestühle voneinander trennte, und legte seine Hand auf ihr Knie.
Sie schob sie unwirsch weg. »Dieses Mädchen ist seit mehr als zwanzig Jahren tot.«
Ohne einen weiteren Versuch, ihr etwas vorzumachen, seufzte er. Eine Weile sah er stumm in den Garten hinaus und nippte an seinem Kaffee. »Ich weiß, wie lange sie tot ist, Cora.«
»Eben! Ihr Vater ist tot. Und ihre Mutter vielleicht auch.«
McCorkle war fünf Jahre nach seiner Tochter gestorben. Man hatte ihn tot an seinem Schreibtisch gefunden, wo er dabei gewesen war, irgend jemandes Stromrechnungen zu überprüfen. Seine Witwe lebte seit langem in Oklahoma. Nie wieder war sie nach Blewer zurückgekehrt, nicht einmal, um die Gräber ihrer Tochter und ihres Mannes zu pflegen. Ezzy konnte es ihr nicht verargen. Sie hatte hier nicht viel Gutes erfahren.
»Kein Mensch außer dir selbst gibt dir Schuld am Schicksal dieser Familie«, sagte Cora mit Nachdruck. »Wann willst du endlich loslassen, Ezzy? Wann willst du aufhören, ständig darüber zu grübeln?«
»Woher weißt du, was in meinem Kopf vorgeht?«
»Es reicht, wenn du mich wütend machst. Du brauchst mich nicht auch noch zu beleidigen«, fuhr sie ihn an. »Ich
weiß genau, daß du dich neulich nacht nur rausgeschlichen hast, weil du in den alten Akten kramen wolltest. Und daß dein Angelausflug nur Vorwand war, hab ich schon gewußt, als du zur Tür raus bist.«
»Ich war angeln «, entgegnete er lahm.
»Du warst an der Stelle am Fluß, wo sie umgekommen ist.« Sie stellte ihre Kaffeetasse auf den kleinen Tisch zwischen den Liegestühlen und faltete ihre Hände im Schoß. »Gegen eine andere Frau könnte ich kämpfen, Ezzy. Da wüßte ich, was ich zu tun hätte. Aber das hier… Ich weiß nicht, wie ich dagegen ankommen soll. Und…« Sie hielt inne und holte tief Atem. »Und ich bin den Kampf leid.«
Er wandte sich ihr zu, sah das trotzig vorgeschobene Kinn, und plötzlich lag ihm sein Herz wie Blei in der Brust.
»Ich verlaß dich, Ezzy, bleib du bei deinen verdammten Gespenstern, mit denen ich dich all die Jahre teilen mußte.« Sie begann zu weinen.
»Cora.«
»Nein, sag lieber nichts. Wir haben tausendmal geredet und geredet. Es hat nie was geholfen. Wir haben gestritten, aber das hat auch nichts geändert.«
»Es ist doch nur wegen dem Gefängnisausbruch. Die Zeitungsberichte über Carl haben alles wieder lebendig gemacht. Sobald er gefaßt ist –«
»Nein, Ezzy. Als er in Arkansas verurteilt wurde und ins Gefängnis kam, hast du zu mir gesagt, es wäre Schluß. Aber so war’s nicht. Jahrelang hast du mir immer wieder versprochen, du würdest dir die Geschichte aus dem Kopf schlagen. Und jetzt bist du im Ruhestand, hast Zeit, bist frei, könntest das Leben endlich genießen… mit mir zusammen«, ergänzte sie mit brüchiger Stimme. »Aber du genießt gar nichts. Du bist trübsinnig. Du steckst in der Vergangenheit fest. Gut, das ist deine Entscheidung. Aber meine ist es nicht. Und drum geh ich. Ich bin schon weg, wie
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