Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtglut: Roman (German Edition)

Nachtglut: Roman (German Edition)

Titel: Nachtglut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Brown
Vom Netzwerk:
Tierarztes. Tierarzt«, wiederholte er und buchstabierte das Wort mit den Fingern, froh, daß er die
Zeichen geübt hatte. Dann drückte er seine Hand an seine Wange, den Daumen am Ohr, den kleinen Finger zum Mund ausgestreckt – das Zeichen für ›Telefon‹, das überall auf der Welt gebraucht und verstanden wurde.
    Wieder sagte ihm ihre Mimik mehr als ihre Gebärden.
    »Sie meinen, was geschehen ist?« fragte er.
    Sie nickte.
    »Wir haben heute morgen drei tote Kühe auf der Weide gefunden. Delray muß wissen, was ihnen passiert ist.«
    Sofort begriff sie die Dringlichkeit der Situation. Ohne Umschweife drängte sie sich an ihm vorbei und rannte die Treppe hinunter. Er hob rasch seinen Hut auf, der ihm beim Rückwärtsstolpern entglitten war, und eilte ihr nach. Als er sie einholte, war sie schon in der Küche im Erdgeschoß und blätterte in einem privaten Telefonverzeichnis.
    »Danke«, sagte er, als sie es ihm reichte und auf einen Eintrag wies. Er wählte die Nummer. Während er wartete, ließen er und Anna einander nicht aus den Augen. Sein Blick schien sie nervös zu machen. Verlegen zupfte sie am Saum ihres Hemdchens. Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Dann schien sie nicht weiter zu wissen und ließ ihre Arme schließlich einfach seitlich herabfallen.
    »Tierklinik.«
    »Äh – ja. Ich rufe im Auftrag von Mr. Corbett an.«
    »Delray?«
    »Ja. Ist Dr. Andersen da? Wir haben hier draußen ein paar tote Kühe.«
    Die Telefonistin bat ihn, einen Moment zu warten.
    Jack sagte zu Anna: »Ich hab doch gleich gewußt, daß Sie diese Fotos gemacht haben. Und ich hab auch gleich gesehen, daß die Frau vor dem Zaun Sie sind.«
    Sie schüttelte den Kopf, als verstünde sie nicht, was er meinte.
    Aber er wußte es besser.
Spät am Abend stieg Anna noch einmal zum Speicher hinauf. Das letztemal war sie vor Monaten hier oben gewesen, und da nur, um die Winterkleider hinaufzubringen und die Sommersachen herunterzuholen.
    Sie hatte nichts gegen Ordnung, Delray jedoch bestand sogar pingelig auf ihr – darum war im Speicher alles ebenso sauber aufgeräumt wie unten im Haus. Der Weihnachtsschmuck wurde in gewissenhaft etikettierten Kartons aufbewahrt, Wollsachen in mottensicheren Plastiksäcken. Dean Corbetts Sportsachen – mehrere Rugbybälle und ein verbeulter Helm, Baseballhandschuhe und Schläger, ein Basketball ohne Luft, ein Tennisschläger – lagen akkurat geordnet auf Metallborden. Schwärzlich angelaufene Siegerpokale, zum Teil noch aus seiner Grundschulzeit, standen in Reih und Glied wie Zinnsoldaten. Seine Trikots ruhten gewaschen und gefaltet in Kartons. Andenken an Mary waren ebenfalls in Kartons untergebracht, auf deren Deckeln man den Inhalt Stück für Stück lesen konnte.
    Andenken an Delrays erste Frau und ihre beiden Söhne gab es nicht.
    Anna selbst war keine Sammlerin. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte sie nur einige persönliche Dinge behalten, den Großteil der Sachen jedoch an verschiedene wohltätige Organisationen verteilt. Ihr Hochzeitskleid lag in einer gesonderten Schachtel, abgesehen davon gehörte ihr nur noch eine Kiste auf dem Speicher. Sie enthielt ihre Fotoausrüstung.
    Ihre Kamera und das Blitzlichtgerät lagen dort auf dem Boden, wo sie sie niedergelegt hatte, als Jack Sawyer sie am Morgen hier überrascht hatte. In der schwarzen Tasche daneben befanden sich verschiedene Objektive und anderes Zubehör.
    Seit sie Jack Sawyer ihre Fotos gezeigt hatte, waren sie ihr nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Jahrelang hatte sie sich vorgemacht, die Fotografie interessiere sie nicht mehr, und
sich in der Folge innerlich von ihren Arbeiten distanziert; doch als sie neulich wieder diesen einen Blick auf die alten Bilder warf, da hatte ein Gefühl sie überkommen wie Heimweh. Erst zu dem Zeitpunkt war ihr bewußt geworden, wie sehr ihr diese Beschäftigung, der sie einmal mit solcher Leidenschaft nachgegangen war, fehlte. Plötzlich lechzte sie danach, wieder eine Kamera zur Hand zu nehmen.
    Darum war sie am Morgen, als David vor dem Fernseher döste, in den Speicher hinaufgegangen, um sich ein paar ungestörte Minuten zu stehlen. Aber dann war die Sache mit den Kühen dazwischengekommen.
    Den Rest des Tages hatte sie keinen Moment mehr für sich gehabt. Nachdem Jack Sawyer mit dem Tierarzt gesprochen hatte, war er sofort wieder zur Weide hinausgelaufen, wo Delray wartete. Sie spürte, daß er, trotz seiner herausfordernden Bemerkungen über die Fotos, im Moment nichts anderes im Kopf

Weitere Kostenlose Bücher