Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
Vom Netzwerk:
Winnys Mutter sagte, die meiste Zeit sei Iris jede Berührung unerträglich und sie geriete so gut wie immer total außer sich, wenn zu viele Menschen um sie herum waren. Von Autismus hatte er eine gewisse Vorstellung, weil er ein bisschen darüber gelesen hatte, aber wie Iris zu Menschen stand, das konnte er voll und ganz verstehen, weil er damit selbst ein Problem hatte. Er schien immer das Falsche oder etwas Dummes zu sagen oder etwas, das unsinnig war, weil er es nur stammelte. Iris konnte gar nichts sagen und Winny wusste nicht, was er sagen sollte, und daher saßen sie gewissermaßen im selben Boot.
    Als er sah, wie Mrs. Sykes beide Riegel vorschob, klappernd die Sicherheitskette vorlegte und dann überprüfte, ob die Tür auch wirklich abgeschlossen war, was natürlich der Fall war, wusste Winny, dass auch ihr kürzlich etwas Gespenstisches zugestoßen war und dass sie sich genauso fürchtete.
    »Vielleicht sperre ich ja etwas mit uns ein«, sagte Mrs. Sykes, »statt es auszusperren. Aber wozu soll ein Schloss überhaupt gut sein, wenn sie ohnehin durch Wände gehen können?«
    Winnys Mom sah ihn an und er schnitt eine alberne Grimasse, damit sie nicht merkte, was für einen Schrecken ihm Mrs. Sykes eingejagt hatte. Was auch immer hier passierte – es würde seinen Vorsatz, den Stempel Waschlappen-Weichei zu vermeiden, auf eine harte Probe stellen.
    »Ich muss Ihnen etwas zeigen«, sagte Mrs. Sykes. »Ich hoffe, es ist noch da. Oder vielleicht lieber nicht. Doch, ich hoffe, es ist noch da. Denn wenn Sie das verdammte Ding sehen, weiß ich wenigstens, dass ich nicht dabei bin, den Verstand zu verlieren.«
    Winny schaute seine Mutter an und schnitt wieder eine alberne Grimasse, die aber diesmal nicht angemessen zu sein schien, obwohl sie es gerade noch gewesen war. Jetzt wusste er nicht nur nicht mehr, was er sagen sollte; er wusste auch nicht mehr, was er mit seinem Gesicht tun sollte. Oder mit seinen Händen. Er steckte die Hände in die Jackentaschen, aber sein Gesicht war ja immer noch da und jeder konnte es sehen.
    Als Mrs. Sykes sie alle durch das Wohnzimmer führte, merkte sie, dass Iris ihr nicht folgte. Das Mädchen stand da, starrte ins Leere und hatte die Hände an ihren Seiten zu Fäusten geballt. Ihre Mutter sprach auf eine ganz seltsame Weise mit ihr. Es schien fast so, als zitiere sie Zeilen eines Gedichts. »Fürchte dich nicht. Komm mit mir und fürchte dich nicht. Ich bin froh, dass ich dich mitnehmen und dir den Weg zeigen kann.«
    Diesmal kam Iris mit, hielt sich aber ein paar Schritte hinter ihnen. Sie gingen durch einen Flur und betraten ein Zimmer, das ihr gehören musste, denn es war in Mädchenfarben gehalten und überall saßen Stofftiere herum. Hauptsächlich Häschen, aber es waren auch ein paar Frösche darunter, ein paar alberne Vögel und ein dämliches Eichhörnchen, alle ganz weich und plüschig, keines von ihnen ein Tier, das in der wirklichen Welt scharfe Zähne hatte und andere Tiere tötete.
    Winny war überrascht, so viele Bücher zu sehen, weil er geglaubt hatte, autistische Kinder könnten nicht gut lesen, vielleicht sogar überhaupt nicht. Aber offenbar las Iris viel. Er wusste, warum. Bücher waren ein anderes Leben. Wenn man schüchtern war und nicht wusste, was man sagen sollte, und das Gefühl hatte, nirgendwohin zu gehören, boten einem Bücher die Möglichkeit, ein anderes Leben zu führen, die Möglichkeit, ein ganz anderer Mensch oder überhaupt irgendjemand zu sein. Winny wusste nicht, was er ohne seine Bücher täte, nur, dass er wahrscheinlich ausrasten, Leute töten und Aschenbecher aus ihren Schädeln machen würde, obwohl er nicht rauchte und bestimmt auch niemals rauchen würde.
    »Es ist noch da«, sagte Mrs. Sykes und deutete auf ein Fenster.
    Ein total verrücktes Ding klammerte sich im Regen an die Glasscheiben: Es hatte ungefähr die Form von einem Football, war allerdings größer, aber auf der Unterseite flach, und es hatte zu viele Stummelbeine, die so aussahen, als seien sie dazu gemacht, auf einem anderen Planeten herumzulaufen, und ein Gesicht, das mehr menschlich als nicht-menschlich war, abge sehen davon, dass dieses Ding das Gesicht auf dem Bauch hatte.
    Ein Teil von Winnys Strategie, um den Ruf eines Waschlappens zu vermeiden, bestand darin, während eines Gruselfilms nie wegzuschauen. Um keinen Preis. Er schaffte es immer, seinen Blick nicht einmal von der grausigsten Handlung abzuwenden, indem er in seinem Kopf fortlaufend Kommentare dazu

Weitere Kostenlose Bücher