Nachtjaeger
glühende Holzscheite wurden zu Glut und Asche. Er beobachtete sie eine Weile von der Tür und sah zu, wie ihr Gesicht von den letzten Sonnenstrahlen erhellt wurde, während sich ihre Brust langsam hob und senkte.
Ihre nackten Füße sahen unter dem Rand der gestrickten Wolldecke hervor, die auf ihrem Schoß und ihren Beinen lag. Der Anblick dieser blassen und zerbrechlich wirkenden Zehen, die sich so deutlich von dem dunklen Holz des Bodens abhoben, versetzte ihm unerwartet einen schmerzlichen Stich.
»Du weißt schon, dass du das ziemlich oft machst«, murmelte sie und streckte sich. Sie sah ihn mit schweren Lidern an, die honigfarbenen Haare zerzaust auf ihren nackten Schultern.
»Was mache ich ziemlich oft?«, fragte er und lehnte sich an den Türrahmen.
Sie schürzte die Lippen und musterte ihn einen Moment lang von Kopf bis Fuß, ehe sie antwortete. »Mich anstarren.«
»Tue ich das? Nun, das tut mir leid. Ich war mir dessen gar nicht bewusst.«
Auf einem Sekretär in der Nähe ihres Schaukelstuhls stand eine Kristallvase voll scharlachroter Rosen. Ihr Duft erfüllte die Luft. Leander betrat das Zimmer und schlenderte zu den Blumen, um eine Blüte zwischen die Finger zu nehmen. Er stellte sich vor, wie Jenna die Blumen gepflückt und die Vase mit Wasser gefüllt hatte, um sie in diesen leeren, stillen Raum zu bringen und ihn mit Leben zu erfüllen. Er fragte sich, ob das etwas bedeutete.
»Doch, das tust du. Du hast mich sogar im Schlaf beobachtet«, beschuldigte sie ihn sanft.
Er drehte sich zu ihr um, ehe er seine Überraschung unterdrücken konnte. Sie sah ihn durch ihre langen Wimpern an, wobei ihre Miene entweder Neugier oder Unwohlsein oder Verachtung widerspiegelte. Er wusste es nicht. Sie sahen sich durch den Raum hinweg an, während sich die untergehende Sonne orangefarben, ingwergelb und golden in leuchtenden Prismen auf dem glänzenden Boden brach. Jennas Blick fiel auf ihre Hände und das aufgeschlagene Buch in ihrem Schoß. Sie klappte es entschlossen zu und legte es auf das Tischchen aus Palisanderholz, das neben ihrem Schaukelstuhl stand.
»Woher weißt du das?« Leander musste sich sehr anstrengen, gelassen zu klingen. »Warst du wach?«
Sie lächelte. Ihr Lächeln wirkte ein wenig traurig, wie sie so in die Ferne blickte. Dann zuckte sie mit den Schultern. »Ob ich wach bin oder schlafe, es scheint so, dass ich dich immer … fühlen kann«, erwiderte sie leise. Sie faltete die Hände in ihrem Schoß, dann rieb sie sich die Oberarme.
»Ja, verstehe.« Er trat näher zu ihrem Schaukelstuhl, wobei er die samtig weiche Rose noch immer in der Hand hielt. Er rieb die Blütenblätter zwischen seinen Fingern und stellte sich die seidige Festigkeit von Jennas Haut vor, wenn er sie berührte. »Morgan hat uns von deiner Gabe erzählt. Deiner ziemlich … außergewöhnlichen Gabe.«
Er blieb neben dem Fenster stehen und blickte zum Himmel hinauf. In der Scheibe spiegelte sich Jennas Bild wie die Erscheinung eines Geistes. »Du kannst uns also alle sehen? Du kannst uns alle spüren? Überall und jederzeit?«
Sie rutschte auf dem Schaukelstuhl hin und her, und er drehte sich zu ihr um, um sie anzusehen. Da sie den Kopf gesenkt hatte, fielen ihr die Haare golden und schimmernd über das Gesicht, das er so nicht mehr sehen konnte. »Einige stärker als andere.«
Er verstand die Andeutung, doch sein Ego wollte, dass sie es laut aussprach. »Du meinst … mich?«
Sie zog die Knie hoch und legte ihr Kinn darauf. Ihr geblümtes Baumwollkleid fiel über ihre nackten Beine, ehe sie die Wolldecke wieder darüberzog und die Arme um ihre Schienbeine schlang. »Ja«, murmelte sie leise. »Vor allem dich«, fügte sie düster hinzu.
Er wartete einen Moment, ob sie noch mehr sagen würde. Doch sie blieb, wie sie war, die Augen gesenkt, still schweigend und einen Schleier aus Haaren vor dem Gesicht.
»Ich habe Morgan nicht umgebracht«, sagte er schließlich.
»Das habe ich gehört«, erwiderte sie. Ihre Finger vergruben sich in ihren Oberarmen. »Aber du hast sie auch nicht freigelassen.«
Schwang in ihrem weichen Tonfall ein Anflug von Verurteilung mit? Zeigte sich in ihrem kaum sichtbaren Gesicht leichte Abscheu?
»Ihr Verrat hat uns schwer getroffen, Jenna. Wir haben einige unserer Männer verloren, und unsere Verteidigungslinien wurden durchbrochen. Unsere sichere Existenz steht auf dem Spiel. Wer weiß, was die Zukunft bringt. Und du …«
Er brach abrupt ab. Als er weitersprach, klang seine
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