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Nachtjaeger

Nachtjaeger

Titel: Nachtjaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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zu, wie sie sich hinabbeugte und eine Rose pflückte. Der azurblaue Seidenschal, den sie trug, lag um ihre Schultern, und der Saum ihres Rocks flatterte im leichten Wind. Als sie sich aufrichtete, zuckte sie zusammen. Er sah es selbst aus dieser Entfernung, wie sie die Luft einsog und ihr Gewicht auf eine Seite verlagerte, die offenbar weniger in Mitleidenschaft gezogen war. Dann atmete sie langsam aus und führte die Blüte an ihre Nase. Sie schloss die Augen.
    Ihre Schultern entspannten sich und die seinen ebenfalls. Erst jetzt bemerkte er, dass er ein wenig nach vorn geschnellt war, als er ihr schmerzverzerrtes Gesicht gesehen hatte. Er atmete tief durch und sank dann auf den Stuhl zurück. Einen Moment lang packte ihn erneut die kalte Wut.
    Sie würden dafür bezahlen, was sie ihr angetan hatten. Jeder Einzelne von ihnen. Bis auf den letzten Mann.
    Als Christian Leanders Reaktion bemerkte, lächelte er ihn schief an. »Na ja, jedenfalls verdienst du sie fast nicht.«
    Leander schüttelte langsam den Kopf, ohne Jenna aus den Augen zu lassen.
    »Es ist sowieso egal«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Christian. »Sie wird mich nicht mehr wollen. Nicht nach all dem, was ich ihr angetan habe. Sobald sie wieder ganz gesund ist, wird sie gehen. Es gibt nichts, was sie hier hält.«
    Christian lächelte ihn erneut schief an und führte dann eine Teetasse an seine Lippen. Das zarte Porzellan mit den winzigen gelben Blüten, die darauf gemalt waren, schien in größter Gefahr zu sein, zwischen seinen Fingern zu Staub zermalmt zu werden. »Du bist nicht halb so klug, wie du denkst, großer Bruder«, murmelte er.
    Er nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und hielt sie dann mit einem Stirnrunzeln von sich weg, als ob ihn etwas verärgert hätte. Dann stellte er die Tasse mit einem lauten Klirren auf die Marmorplatte des Tisches.
    »Nur aus Neugier«, fügte Christian hinzu. Seine Stimme klang betont ruhig und klar. Seine Hände hatte er jetzt in seinem Schoß gefaltet, und man konnte die Knöchel der Finger weiß hervorstehen sehen. »Hast du ihr eigentlich schon von der Entscheidung des Rats erzählt?«
    Leander warf ihm ein kleines, säuerliches Lächeln zu. »Vergiss nicht, von wem wir hier reden. Ihr ist völlig egal, was der Rat zu sagen hat. Sie wird sich seinen Regeln niemals beugen.« Er zuckte mit den Schultern. »Und ich muss zugeben, ich kann es ihr nicht einmal vorwerfen.«
    Jenna wandte sich um und sah Leander durch das Fenster direkt an. Fast schien es so, als ob sie seinen Blick bemerkt hätte. Ihr Gesicht war bleich und von der glänzend goldenen Haarmähne halb verdeckt, die in Wellen über ihre Schultern und ihren Rücken fiel.
    Nur ihre Augen waren klar zu erkennen. Ihr Blick war kühl und ernst, die grünen Augen weit und groß.
    Für einen Moment sahen sich die beiden an. Leander wäre am liebsten von seinem Stuhl aufgesprungen und zu ihr hinausgerannt. Am liebsten hätte er sie in seine Arme genommen und sie mit Küssen auf ihre Haare, ihre Wangen und ihre Lippen überschüttet. Doch in diesem Moment senkte sie den Blick und wandte sich ab. Sie zog den Seidenschal enger um sich und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, wobei diese Geste auf eine merkwürdige Weise zugleich abweisend, gleichgültig und doch auf eine höchst mädchenhafte Weise verletzlich wirkte. Die Rosenblüte segelte langsam vor ihr auf den Kiesboden.
    »Na ja.« Christian erhob sich. Er warf einen letzten Blick auf Jenna, ehe er sich ganz Leander zuwandte. »Man kann nie wissen. Es könnte einen Unterschied machen. Du solltest es ihr zumindest sagen.«
    Leander spürte die Hand seines Bruders auf seiner Schulter, nachdem er hinter seinen Stuhl getreten war. Einen Moment lang drückten Christians Finger leicht zu, ehe er sich abwandte und langsam durch die Bibliothek zur Tür lief. Sein Gang wirkte schwerfällig, die Haltung gebeugt. Als er wieder zu den Fenstern sah, war Jenna verschwunden.
    Die Tage gingen vorüber, aber Jenna brach ihr Schweigen nicht. Ihre Haut wirkte noch immer unnatürlich blass, und sie schien so ernst und in sich gekehrt, dass Leander wusste, wie recht er hatte. Sie würde abreisen, sobald sie dazu in der Lage war.
    Es war nur eine Frage der Zeit.
    Er fand sie eines frühen Abends dösend in einem Schaukelstuhl, der sich in einem unbenutzten Schlafzimmer im ersten Stock des Hauses befand. In ihrem Schoß lag ein aufgeschlagenes Buch. Ein kleines Feuer prasselte im Kamin. Orangefarben und gelb

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