Nachtjäger
nahmen.«
Lilou senkte den Blick und lächelte still.
Ludwig zog ein Gesicht, dann grinste er und sagte: »Wer hätte das gedacht …?«
»Ausgerechnet er …«, flüsterte Lilou. »Und wir haben ihn erneut verflucht und zu ewiger Machtlosigkeit verdammt.« Sie blickte auf. »War das richtig? Schließlich hat er uns das größte Geschenk gemacht, dass möglich ist.«
Doch es war kein Geschenk.
Nicht immer.
Es gab zu viele Augenblick, in denen es ein Fluch war und somit möglicherweise das, was der Vampir wirklich gewollt hatte.
Es war ein Fluch, wenn sie sich von Freunden verabschieden mussten, die alterten. Als sie Asburyhouse verlassen mussten, da sie eine neue Identität brauchten. Als sie das Land verlassen mussten, weil man ihnen fast auf die Schliche gekommen war. Als sie ein Kind verlassen mussten, dass sie liebten.
Denn als Lilou schwanger wurde und Ludwig ein stolzer Vater, bekam die Unsterblichkeit ein grauenvolles Gesicht. Der geliebte Junge, sie nannten ihn Maurice, wurde älter, und als er einundzwanzig war, begann er, seinen Eltern Fragen zu stellen. Ein hübscher, braunhäutiger Junge, der begriff, dass sein Dad weit über achtzig Jahre alt war, aber noch immer jung wirkte … zu jung!
Lilou und Ludwig durchquerten ein Tal des Kummers, als sie ihren Sohn zurückließen, als sie auf einen anderen Kontinent gingen, als sie das Liebste, das sie in ihrem Leben hatten, verlieren mussten, um dem Sohn ein normales Leben zu sichern. Der Junge war vermögend und trauerte lange über den Verlust seiner Eltern, doch nach einer Weile fing er sich und heiratete ein hübsches rothaariges Mädchen. Er wurde ein angesehener Unternehmer und starb im Zweiten Weltkrieg. Ludwig und Lilou erfuhren es aus der Presse, während sie vor einem Zelt am Fuße des Kilimandscharo saßen und anschließend lange weinten.
Die Freunde erkannten, dass alles einen Anfang und ein Ende haben sollte und eine ungewisse, aber unendlich währende Zukunft die Seele quälte. Sie machten Erfahrungen, die ihr Geist kaum noch speichern konnte und erst, als sie dem Wahnsinn nahe waren, regulierten sich ihre Hirne und sie vergaßen.
Vergaßen ihre Kindheit, ihre Jugend, gerade genug, um geistig gesund zu bleiben.
Sie überlebten den Zweiten Weltkrieg und waren in Nordafrika, auf der Jagd nach einer Gruppe Vampire, die mehrere Dörfer bedrohten, als der erste Mensch den Mond betrat.
Sie kämpften gegen mutierte Vampire in Tokio, als Lady Diana tödlich verunglückte.
Sie pflegten Carolines Wunden, die sie sich bei einem Kampf gegen grausame Geschöpfe der Nacht zugezogen hatte, als JFK erschossen wurde.
Sie waren in Berlin, nicht weit weg von der Mauer, als sie geöffnet wurde, und hielten sich an den Händen.
Sie versteckten sich vor einer Bande Vampire in den Höhlen von Caracas, als die Zwillingstürme fielen.
Sie ließen Freunde zurück, Erfahrungen, Ideen, sahen Kriege, Blut und Verzweiflung und sie lernten. Lernten, wie man die Technik der modernen Zeit nutzte.
Frederic war ein Meister am Commodore PET und schrieb Programme, bevor Basic erfunden wurde. Er tunte einen Amiga und war einer der Ersten, die mit dem Arpanet arbeiteten, aus dem das Internet entstehen sollte.
Ludwig wurde ein Kenner der Biotechnologie und wusste, was ein Genom ist, bevor man öffentlich darüber sprach. Auf seinen Feldern in Südafrika veränderte er das Erbgut verschiedener Getreidesorten und lernte Anada Chakrabarty kennen, der 1980 in den USA das erste Patent auf einen gentechnisch veränderten Organismus anmeldete. Er begriff den Unterschied zwischen Erythrozyt, Thrombozyt und Leukozyt und präsentierte Frederic ein gentechnisch verändertes Blut, dass er ‚alkoholfreies Bier’ nannte.
Dass er außerdem ein Waffennarr war, kam ihnen allen zu Gute. Schon 1958 wusste er, was sich hinter dem Begriff Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation verbarg und nutzte Lasertechnologie zur Verbesserung der Nachtjäger-Waffen.
Lilou, die eine enge Freundin der Künstlerin Josefine Baker wurde und sich für die Rassenfreiheit einsetzte, schulte sich in den schönen Künsten. Der Tag, an dem Dr. Martin Luther King getötet wurde, war einer der schlimmsten ihres langen Lebens und sie kam nie darüber hinweg, dass sie es nicht verhindert hatte.
Caroline wurde eine Meisterin in verschiedenen Kampftechniken und lebte 2 Jahre in einem Dojo, um die Erfahrung der Verinnerlichung zu machen. Sie besaß die Gabe der kontemplativen ebenso wie die der
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