Nachtjäger
machen, was auch immer er plant. Er will das große Schauspiel und wir sollen die Stichwortgeber sein. Ich wette, man wird an Bord nichts finden, wird sich bei Kapitän Jackson entschuldigen und das Schiff darf anlegen. Man wird es als unangenehmes Gerücht verlautbaren. Aber Morgos weiß, dass wir unterwegs sind, er weiß es, verdammt noch mal. Und er lacht sich schon jetzt ins Fäustchen. Er sucht die direkte Konfrontation.«
Er sagte es immer wieder, fiel Caroline auf. Warum wiederholte er es wie ein Mantra? Fürchtete er sich vor dem Kamp – oder fürchtete er sich davor, Daargon diesmal endgültig zu verfallen?
»Sollten wir versuchen, herauszufinden, was oder wen er an Bord hat?«, fragte Caroline.
»Ist schon geschehen«, sagte Ludwig und der Drucker am Laptop arbeitete. »Matrosen, hier ist die Namensliste. Menschen, die für die Verschiffung von Gebrauchsgütern verantwortlich sind.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Frederic. »Was befindet sich an Bord?«
Ludwig lächelte schief. »Waschmaschinen.«
Caroline lachte. »Das ist ein Witz, oder?«
»Leider nein«, sagte Ludwig.
Lilou legte ein Buch zur Seite. Sie blickte auf und noch immer waren ihre Augen traurig und verhangen. »Dieses Miststück mag Kisten verschiffen, aber darin sind gewiss keine Waschmaschinen.«
»Sondern?«, fragte Caroline.
»Keine Ahnung, wirklich nicht. Aber überlegt mal … mir geht das Foto nicht aus dem Kopf. Warum war Maurice auf dem Foto? Klare Sache – er will uns reizen, fordert uns heraus, will uns wütend machen und er will uns damit beweisen, dass er uns jahrzehntelang nicht aus den Augen gelassen hat.«
»Das ist unheimlich.« Caroline schüttelte sich. »Wir dachten, er sei verschwunden und in Wirklichkeit hat er vermutlich regelrecht über uns …«
»Gewacht?«, vervollständigte Ludwig.
»Ja, gewacht!«
»Er will die große Konfrontation«, murmelte Frederic einmal mehr und Caroline schauderte es.
»Dann soll er sie kriegen«, sagte Ludwig.
»Was wird dabei aus Maurice?«, fragte Lilou.
Sie sahen sich an. Niemand wusste darauf eine Antwort.
Sie landeten pünktlich. Das Wetter war sonnig. Mit mehreren Koffern beladen unterzogen sie sich der fast hysterisch anmutenden Zollformalitäten, und endlich waren sie im Land.
Caroline schimpfte und war schlecht gelaunt. Wenige Meter vor der Ausgangstür vom Terminal musste sie ihr Handgepäck leeren. Ein stoisch wirkender, jedoch freundlicher Beamter durchsuchte es und fand eine Nagelfeile. Er forderte sie ein und Caroline stützte sich auf den Tisch, beugte sich vor und fauchte: »He, Mann. Ich bin schon lange raus aus dem Flugzeug. Da drüben ist der Ausgang nach Amerika. Außerdem war es keine Passagiermaschine, sondern eine private.«
Der Beamte blickte sie kalt an, und machte ihr höflich, aber deutlich klar, sie möge die Handflächen vom Tisch nehmen und sich benehmen, da man sie sonst verhafte.
Caroline verließ den Bereich und bekam fast einen Wutanfall, als sie nur wenige Meter entfernt einen Laden entdeckte, in dem man, unter anderem … Nagelfeilen kaufen konnte.
»Die Amis spinnen! Die sind seit dem 11. September völlig gaga.«
Frederic hakte sie unter, rückte seine dunkle Brille zurecht und sagte: »Wir können es nicht ändern.«
Caroline wunderte sich, dass man Frederic ins Land gelassen hatte. Seine Augen waren nicht die eines Menschen, dennoch hatte er den Test bestanden.
»Ich gebe ihnen, was sie wollen«, lächelte Frederic, ohne näher darauf einzugehen.
Caroline war derart aufgebracht, dass sie knurrte: »Also mir auch?«
»Zwei, drei Stunden Schlaf, und du hast den Jetlag hinter dir«, sagte Frederic sanft.
Sie war noch immer zornig, aber sie verschluckte weitere Bemerkungen und schmiegte sich an ihn.
Sie waren so lange Jahre zusammen und nichts hatte sich zwischen ihnen geändert. Ihre Liebe war zeitlos und würde alles, wirklich alles überstehen. Nie würde sie ihm seine Treue vergessen, seine Versuche, sie aus dem Totenreich zu holen. Und er ließ sie bis heute nicht eine Sekunde lang spüren, was er für sie getan hatte – ein Grund mehr, ihn zu lieben. Er war ein Vampir, und dennoch war er selbstlos. Ein Paradoxon, an das sie sich inzwischen gewöhnt hatte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich wohl, war sie … zuhause! Selbstverständlich hatte auch er im Laufe der Jahre Veränderungen durchgemacht, hatte sich zeitweise von seiner schlechteren Seite gezeigt, doch letztendlich war er stets derjenige geblieben,
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