Nachtklinge: Roman (German Edition)
schwer in der Luft. Doch alles, was er wahrnahm, war der zarte Duft ihres Orangenwassers, ganz zu schweigen vom verführerischen Moschusgeruch ihres Körpers, der ihn so süchtig machte wie Opium.
Er musste unbedingt etwas sagen.
Egal, was. Sich nach ihrem Befinden oder dem Leos erkundigen, sich entschuldigen für … Tycho nahm sein Weinglas und stellte es wieder ab. Er hätte ihr so vieles erklären müssen, wo sollte er da anfangen?
Andererseits – musste er sich wirklich entschuldigen?
Ohne sein Einschreiten hätte sich Giulietta umgebracht. Er hatte sie nur gefunden, weil Alexa ihm den Auftrag erteilt hatte, Prinz Leopold zu töten. Stattdessen hatte Tycho dem Prinzen das Leben gerettet. In der Nacht, als die Schlacht vor Zypern stattfand, hatte er sich nur aus einem Grund in jenes Wesen verwandelt: um Giulietta zu schützen. Sollte er sich vielleicht dafür entschuldigen, ihr die Wahrheit gesagt zu haben?
Sein
eigentlicher
Auftrag hatte darin bestanden, ihre Tante, Dogaressa Alexa, zu töten.
Man hatte ihn auf Befehl des Regenten geschickt. Das hatte jedenfalls ein mameluckischer Prinz berichtet, dessen Leben Tycho verschont hatte. Jener Prinz hatte keinen Grund gehabt zu lügen.
Tycho schob sein Essen lustlos hin und her.
Tischgespräche ringsum verebbten und kamen erneut in Gang. Die meisten waren langweilig, manche geradezu unhöflich, einige von äußerst privater Natur. Eines davon weckte sein Interesse. Giulietta hatte sich abgewandt, um Leo zu beruhigen. Tycho wollte nicht hinsehen, ob sie dem Kleinen zu trinken gab.
Daher entging es ihm nicht, als der Regent Dr. Crow mit einem Fingerschnippen zu sich befahl. Es entging niemandem. Aber nur Tychos Gehör war scharf genug, um zu verstehen, was Alonzo zu dem Alchemisten sagte.
»Ihr seid sicher, dass niemand von dem Geheimnis weiß?«
»Durchlaucht, darüber haben wir bereits mehrfach gesprochen.«
»Beantwortet gefälligst meine Frage.«
Alonzo sprach so laut, dass Giulietta erstarrte. Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: »Ich kann Euch nur raten, die Sache nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«
»Ich stehe mit meinem Leben dafür ein, Durchlaucht.«
»So ist es.«
Eine unwirsche Handbewegung, und Dr. Crow war entlassen. Er zog sich mit gesenktem Kopf und nachdenklicher Miene zurück. Bildete Tycho es sich nur ein, oder hatte ihm der Alchemist im Vorübergehen einen Blick zugeworfen?
»Giulietta«, sagte Tycho.
»Ich muss Leo stillen«, gab sie kurz angebunden zurück und erhob sich.
Aber kurz vor der Tür des Bankettsaals kam ein Diener auf sie zu. Höflich und ein wenig verlegen bedeutete er ihr, diskret zum Regenten hinübernickend, dass sie zu ihrem Platz zurückzukehren hatte. Giulietta blickte kurz zur Tür und schien in Erwägung zu ziehen, den Befehl zu missachten. Dann folgte sie jedoch der Anweisung.
»Offensichtlich muss ich bleiben, bis das Bankett vorbei ist.«
Da sich Prinz Alonzo selbst bereits zweimal kurz entfernt hatte, machte er offenbar deutlich, dass sie zu bleiben habe, auch wenn sie den Säugling dabeihatte.
»Bei deiner Hochzeit hast du ihm die Brust gegeben. Weißt du noch, wie Leopold das Spitzentuch beiseitegezogen hat?«
Giulietta lief rot an.
»Das meine ich nicht«, warf Tycho hastig ein.
Leopold hatte nur die Narben auf der Brust seines Sohnes zeigen wollen und dabei versehentlich seine Frau entblößt. Er wollte beweisen, dass sein Adoptivsohn
in jeder Hinsicht
sein Erbe war. Leopold war ein Kriegshund, und auch sein Sohn würde zum Kriegshund werden. Ein Werwolf, dessen Schicksal an den Vollmond geknüpft war. Das Kind wäre nicht mehr am Leben, wenn Alonzo oder Alexa Bescheid gewusst hätten.
Tycho drehte sich zur Seite. »Ich schaue nicht hin.«
»Das hoffe ich«, erwiderte sie eisig.
Als sie ihr Oberteil öffnete, strömte Speichel in Tychos Mund, und seine Fangzähne pochten schmerzhaft. Er roch Schweiß. Er fühlte die Wärme ihres Körpers. Er wandte sich noch weiter ab und bemerkte, dass Alexa ihn gebannt beobachtete.
»Giulietta«, sagte er.
»Was ist denn?«
Leo weinte, und Tychos Blick fiel auf ihre entblößte Brust. Die Gespräche ringsum wurden plötzlich leiser. Giulietta legte das Kind wieder an ihre Brust und bedeckte sich mit dem Spitzentuch. Als Tycho prüfend zur Dogaressa sah, unterhielt sie sich mit Alonzo.
»Giulietta, als man dich entführt hat …«
Sie erstarrte.
»Du hast mir erzählt, deine Entführer seien als Mamelucken verkleidet gewesen. Dann hat man
Weitere Kostenlose Bücher