Nachtklinge: Roman (German Edition)
Krügen kühlende Wassertropfen herabrieselten, überdachte der Kaiser das Problem. Sein Hofstaat unterhielt sich derweil mit gedämpften Stimmen. Sie alle hatten hart um ihre Stellung bei Hofe gekämpft, die doch nichts erforderte als eine gehörige Portion Unterwürfigkeit. Der Kaiser wusste, wie lächerlich das im Grunde war, vermutlich wussten es auch Andronikos und alle Anwesenden. Doch das hielt niemanden davon ab, um Posten zu ringen. So war es seit Hunderten von Jahren.
»Wo ist Nikolaos?«
»Auf seinem Gut, Majestät. Unter Bewachung.«
»Hat er sich gebessert?«
Nikolaos, Sohn einer freigelassenen warangischen Sklavin, war der ansehnlichste seiner Söhne. Er hatte blondes Haar und breite Schultern, derer sich Herkules nicht hätte schämen müssen. Er strotzte vor Kraft, war ein charmanter Unterhalter und hatte ausgezeichnete Manieren – zumindest in der Öffentlichkeit. Privat war er grausam, und deshalb hatte man ihn auch aus Konstantinopel fortgeschickt. Die schöne, begabte und intelligente Tochter eines Fürsten hatte sich standhaft geweigert, sein Werben zu erhören, und war zum Ziel seiner blinden Wut geworden.
»Hoheit, das könnte gefährlich werden.«
»Sowohl Giulietta als auch ihre Mutter haben byzantinisches Blut in den Adern und kein deutsches. Wir schicken Nikolaos nach Venedig. Falls die venezianischen Spione noch etwas taugen, wissen sie, was wir ihnen da schicken. Sagt Fürst Tiersius, dass wir Nikolaos nun doch ins Exil schicken.«
»Aber der Fürst hat seinen Tod gefordert.«
»Tod oder Venedig – das läuft auf dasselbe hinaus.«
1
Venedig
A m ersten Mai, just in derselben Nacht, als der Basileus mit seinem Berater Andronikos über die Lage in Venedig sprach, legte das Flaggschiff der venezianischen Flotte in der heimischen Lagune an. Die Segel waren vom Sturm zerfetzt und der Rumpf mit Kampfspuren übersät.
Die
San Marco
war als einziges Schiff zurückgekehrt. An Bord befand sich der
Dämon,
der seinerzeit durch das Reich des Basileus transportiert worden war. Der
Dämon
verabscheute es, an Bord zu sein. Zum einen fühlte er sich auf See schwach und krank, zum anderen gelang es ihm nicht, die schrecklichen Erinnerungen an die Schlacht abzuschütteln. Und zum dritten hatte sich die junge Frau, die er liebte, in ihrer Kabine eingeschlossen und weigerte sich herauszukommen. Er hatte ihr gestanden, wer er in Wirklichkeit war.
»Wieder auf den Beinen, Herr Tycho?«
Der
Dämon
zog ein finsteres Gesicht.
Arno Dolphini gehörte zu den wenigen in der Mannschaft, die unbeeindruckt davon waren, dass sie die Schlacht nur dank Tychos Eingreifen überstanden hatten. Allerdings hielten ihn auch jene, die ihn bewunderten, für einen rücksichtslosen Ehrgeizling. Wie sonst war es zu erklären, dass er einer Millioni-Prinzessin unmittelbar nach dem Tod ihres Gatten den Hof machte?
Aber ich habe mich zuerst in sie verliebt.
War nicht die Prinzessin selbst abends an Deck der
San Marco
auf ihn zugekommen, in einem hauchdünnen Unterkleid, das an ihrem verschwitzten Körper klebte? Bei dem Gedanken begann sein Herz schneller zu schlagen.
»Prinzessin Giulietta geht es nicht gut.«
»Kein Wunder. Das Kleine schreit und ihr Mann ist tot. Trotzdem wird ihre Familie bestimmt bald einen neuen Mann für sie aussuchen.«
Tycho ballte die Fäuste und fixierte die Lichter am Strand. Er durfte sich von Dolphini nicht provozieren lassen. Der Graf, zukünftiger Erbe eines gewaltigen Vermögens, war als Rüpel bekannt und obendrein ein Dummkopf. Diesmal hatte er allerdings nur allzu recht.
»Kommt mit.« Dolphini wies in die Richtung, in der Graf Atilo mit einem Boten diskutierte. »Den Spaß dürft Ihr Euch nicht entgehen lassen.«
Jedes Schiff, das in den venezianischen Hafen einlief, stand unter Quarantäne und hatte sich zwischen die anderen Schiffe einzureihen. Auch die
San Marco
hatte diesen Befehl erhalten, doch Graf Atilo, der Kapitän des Schiffs, hielt sich für einen Mann, der nicht zu warten brauchte.
»Du wagst mir zu sagen, was ich zu tun habe?«, bellte er den Boten an.
Gerate nicht in Panik,
dachte Tycho.
Aus dem Augenwinkel schätzte der Bote die Entfernung zwischen dem Deck und dem dunklen Gewässer der Lagune. Wenn er die Reling rechtzeitig erreichte, konnte er noch von Bord springen, ehe Atilo zuschlug. Andererseits würde ihn der Regent dann wegen Feigheit aufknüpfen lassen. Die Miene des Boten verriet, dass er sein Schicksal so oder so für besiegelt hielt.
»So lautet
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