Nachtklinge: Roman (German Edition)
der Befehl des Rates, Graf.«
»Zum Teufel mit dem Rat. Wir gehen an Land.«
»Man wird Euch verhaften.«
Sogar Graf Atilo sah verblüfft aus.
»Ich habe die Flotte der Mamelucken versenkt. Ich habe verhindert, dass Zypern besetzt wird, und damit unsere Handelswege geschützt. Niemand wird es wagen, mich festzunehmen!«
»Graf, Euer Befehl lautet …«
Atilo il Mauros wollte widersprechen und sagen, dass ihm niemand Befehle zu erteilen habe. Doch das stimmte nicht: Dogaressa Alexa konnte es, und ihr Sohn, der schwachsinnige Doge, hatte ebenfalls das Recht dazu. Sogar Prinz Alonzo, der Regent, hatte Befehlsgewalt über Atilo.
»Ich habe mich drei Tage lang durch Stürme gekämpft. Mein Schiff ist ein halbes Wrack, meine Männer sind vollkommen erschöpft. Das alles habe ich auf mich genommen, um Euch die Nachricht von unserem Sieg zu überbringen.«
»Wir haben bereits davon gehört, Graf.«
»Wie ist das möglich?«
»Es wurde am vergangenen Sonntag bekannt gegeben.«
Der alte Admiral knurrte wütend. Ein beinahe komischer Anblick, hätte er nicht zugleich die Fäuste erhoben. Der ahnungslose Bote wusste nicht, dass Atilo vor Zorn gleich überschäumte. Wenn er jetzt zuschlug, kannte er keine Gnade.
Tycho konnte den durchdringenden Blutgeruch, der sich dann ausbreiten würde, schon förmlich riechen. Ob es ihm dann gelingen würde, seine Gier niederzuringen? Er war erschöpft, geschwächt und krank von der langen Seereise, und das Monster in ihm wartete nur darauf …
»Lasst es gut sein«, sagte er.
Atilo fuhr herum und durchbohrte seinen ehemaligen Sklaven mit seinem Blick.
»Du wagst es, meine Autorität infrage zu stellen?«
Der Bote war vergessen, und Atilos ganze Aufmerksamkeit galt der Beleidigung. Die Hand des Alten tastete nach dem Schwertknauf, und Tycho fragte sich, wie weit Atilo gehen würde …
»Ich verbiete Euch zu kämpfen.«
Die Stimme in Tychos Rücken klang etwas wacklig, und doch war es ein Befehl. Das rothaarige Mädchen, das sich an ihm vorbeidrängte, zitterte vor Wut, Gereiztheit und Müdigkeit. Prinzessin Giulietta hielt einen Säugling in den Armen, halb verborgen unter einem maltesischen Spitzentuch.
»Gib Bescheid, dass ich die Quarantäne akzeptiere. Ich weigere mich jedoch, mit einem Haufen von Dummköpfen an Bord zu bleiben. Der Rat der Zehn wird eine Lösung finden. Ich gestatte dir, meinen Namen zu nennen, wenn du diese Nachricht überbringst«, erklärte sie dem Boten, der sich tief verneigte.
Giulietta di Millioni, Witwe von Prinz Leopold zum Bas Friedland und Mutter seines Erben, wandte sich um und ging in ihre Kabine zurück. Als echte Millioni wusste sie, dass man ihr gehorchen würde. Die Familie war es gewohnt, dass ihre Befehle ohne Zögern ausgeführt wurden. Sie war es so sehr gewohnt, dass sie auch diesmal nicht daran zweifelte.
Tycho verschlief den folgenden Tag im dunklen Bauch der
San Marco
auf einer Schicht Erde, die er in Ragusa, einer Hafenstadt an der Adria, an Bord geschafft hatte. Das Sonnenlicht blendete und schmerzte ihn, auf dem Wasser zu sein löste Übelkeit aus. Sein Zustand war in der Mannschaft bestens bekannt.
Nicht nur die Matrosen gingen ihm aus dem Weg.
Atilos Männer zollten ihm zwar den Respekt, den er als frischgebackener Ritter erwarten durfte, doch seine rätselhafte Freundschaft mit Prinzessin Giulietta machte sie misstrauisch. Lediglich Graf Atilos Braut, Gräfin Desdaio Bribanzo, ging scheinbar unbekümmert mit Tycho um.
»Tycho …«
Er sprang auf die Füße. Erst als Desdaio fragte: »Ist das denn wirklich nötig?«, bemerkte er überrascht das Schwert in seiner Hand.
»Verzeiht, Gräfin.«
Mit einem Stirnrunzeln blickte sie sich in dem kleinen Holzverschlag um. Sie sah Tychos dünne Matratze auf einer Schicht roter Erde.
»Dann ist mir nicht so übel.«
»Du weißt immer, was ich denke.«
»An manchen Tagen weiß ich sogar, was jeder denkt. Eure Gedanken sind wenigstens erfreulich.« Er sah, wie sie in der Dunkelheit errötete und sich verlegen abwandte.
»Ich wollte dir sagen, dass es eine Antwort auf die Nachricht der Prinzessin gibt.«
»Hat Graf Atilo Euch zu mir geschickt?«
Die ehrliche Desdaio schüttelte den Kopf, auch wenn sie aus Loyalität zu ihrem zukünftigen Ehemann lieber gelogen hätte. »Ich dachte, du würdest vielleicht gern …«
Jemand schnaubte über ihren Köpfen. Beide blickten hoch. Giulietta stand am oberen Ende der Treppe. Sie hielt den schlafenden Leo in den Armen, über ihr
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