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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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Augen auf, als seine Haut zischte.
    »Ich bin kein Mensch.«
    Sie wich zurück und senkte die Waffe. »Was bist du dann?«
    Ich würde es dir sagen, wenn ich es wüsste.
    Giulietta hob erneut das Messer, und bohrte es tiefer unter seine Haut, während sie ihn unverwandt ansah. Wonach sie auch suchen mochte, er bezweifelte, dass sie es finden würde. »Leopold war ein besserer Mann als du.«
    Ich weiß.
    »Schwöre, dass du ihm nicht helfen konntest.«
    Tycho setzte an, schwieg dann jedoch.
    Giulietta trat zurück. Ihre Finger zitterten.
Ihr Götter,
dachte Tycho, der vor Schmerzen bebte. Diesmal dauerte es länger als sonst, bis die Wunde sich schloss. Giulietta wartete, bis er wieder ein Wort herausbrachte.
    »Kann ich mein Hemd anziehen?«
    Damit hatte sie wahrscheinlich nicht gerechnet.
    Sie verfolgte jede seiner Bewegungen, während er sich das Hemd über den Kopf zog und mit zitternden Fingern die Bänder knüpfte. In ihm waren nur noch Leere und die Wahrheit. »Als Leopold mich gebeten hat, dich auf Atilos Schiff zu bringen, war ich davon überzeugt, dass wir alle sterben würden. Dass er sein Leben in Würde beenden und verhindern wollte, dich mit eigenen Händen töten zu müssen.«
    »Leopold hätte mich niemals …«
    »Er hat mich gebeten, es zu tun.«
    »Was?«
    »Leopold konnte es nicht, und deshalb hat er mich darum gebeten. Genau wie Graf Atilo, der wollte, dass ich Desdaio töte. Ich habe ihm gesagt, das sei seine eigene Pflicht.« Tychos Stimme klang bitter. »Wir dachten alle, dass wir sterben würden.«
    »Meinst du wirklich, Desdaio und ich hätten den Tod der Gefangenschaft vorgezogen?«
    »Glaub mir. Das hättet ihr.«
    »Wie kannst du das wissen?«
    »Weil ich selbst in Gefangenschaft war.« Bei seiner Ankunft in Venedig hatte Tycho sich an nichts erinnern können, und als die wenigen Bruchstücke zurückkamen, war er froh, dass es nicht mehr waren. Ohne sein Wams anzulegen, fragte er, ob er eintreten dürfe.
    Giulietta nickte.
    »Damals hätte ich gern eine Wahl gehabt.« Sie musterte ihn und fügte hinzu: »Genau wie Desdaio.« Tycho nahm den Weinkrug und bat sie wortlos um Erlaubnis. Sie wirkte überrascht, als er ihr zuerst ein Glas reichte.
    »Ich habe es nicht gewusst. Erst während des Kampfes wurde mir klar, dass ich in der Lage war, die Schlacht zu unseren Gunsten zu entscheiden und dich zu retten.«
    »Mich zu retten?«
    »Aus welchem Grund hätte ich sonst kämpfen sollen?«
    Er wich ihrem Blick aus und wollte nicht daran denken, was in jener Nacht geschehen war, in welches Ungeheuer er sich verwandelt hatte. Sie schwieg einen Moment, dann kehrten Zweifel in ihr Gesicht zurück.
    »Erzähl mir, wie du den Kampf gewonnen hast.«
    »Spielt das eine Rolle?«
    Er wehrte sich nicht, als sie zuschlug. In der darauffolgenden Stille entging ihm nicht, dass sie ihn etwas weniger skeptisch musterte. Er bewegte sich langsam, um sie nicht durch eine plötzliche Bewegung zu erschrecken.
    »Gut«, lenkte er ein. »Dann sag mir, warum es eine Rolle für dich spielt.«
    Hoffentlich konnte er mit ihrer Antwort leben. Je länger er vor ihr stand, desto schwerer fiel es Giulietta, sich auf diese Antwort zu konzentrieren.
    »Wir haben überlebt«, stellte sie schließlich fest.
    Tycho wartete.
    »Und Leopold nicht …«
    »Fühlst du dich schuldig, weil du am Leben bist?«
    Sie stritt es nicht ab. »Du hättest ihn retten müssen«, erklärte sie stattdessen erneut. »Du hast so viele gerettet.«
    »Aber viele sind auch gestorben.«
    Giulietta verbiss sich gerade noch die Bemerkung, dass es auf diese anderen nicht ankam. Tycho begriff es auch so. Für sie ging es in dieser Schlacht nur um den Menschen, für dessen Tod sie ihn verantwortlich machte.
    Das war der springende Punkt.
    »Du hast recht«, erklärte er unvermittelt.
    Sie riss die Augen auf, und Tycho spürte die rasende Wut, die plötzlich wie eine Feuersbrunst in ihr aufloderte.
    »Ich hätte ihn retten können. Aber das habe ich selbst nicht gewusst.«
    »Du hast gedacht, du müsstest sterben?«
    Er nickte.
    »Was hat sich dann verändert?«
    »Ich. Ich war mit einem Mal ein anderer.« Tycho zwang sich, es auszusprechen.
    In Venedig gab es ein Wort für das Höllenreich, in dem er gelebt hatte: Limbus, der äußere Kreis der Hölle.
    Die Welt hinter den Mauern der Ca’ Friedland schien zurückzuweichen, und der Himmel war leer. Er, Tycho, hatte die Stadt erschaffen. Die Risse, die ihre Mauern durchzogen, waren Risse in seinem eigenen

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