Nachtklinge: Roman (German Edition)
wird nicht …«
»Graf Roderigo.«
Er zögerte.
»Wir wollen doch höflich sein«, murmelte Giulietta.
Diese Aufforderung war für eine Millioni-Prinzessin derart ungewöhnlich, dass Roderigo daraus nur einen Schluss ziehen konnte: Sie hatte den deutschen Prinzen geliebt und war nun in ihrem Kummer gefangen. Giulietta unterdrückte ein schiefes Lächeln.
Ihr Kummer hatte sie tatsächlich nach Görz geführt, einer kleinen Stadt auf dem Festland, zwischen dem Hafen Monfalcone und Alta Mofacon im bergigen Hinterland, ihrem Ziel.
Giuliettas öffentliche Trauer war keine Schauspielerei. Sie hatte vielmehr beschlossen, ihren Kummer nicht länger zu unterdrücken. Sobald sie an Leopold dachte, kamen ihr die Tränen. Sie hatte bei einer Begegnung mit dem Dogen geweint, auf dem Weg durch die Straßen und in ihrer Gondel auf dem Canalasso. Knapp eine Woche später hatte Tante Alexa einen Boten geschickt und sie in den Dogenpalast eingeladen.
Giulietta hatte ihr Gefolge und ihre Wachen zurückgelassen und die Sänfte ihrer Tante akzeptiert. Sie war in der Abenddämmerung eingetroffen, schlicht gekleidet und in Tränen aufgelöst.
Das Treffen war kurz und fand glücklicherweise ohne ihren Onkel statt. Er ertrug Giuliettas Gegenwart ebenso wenig wie sie die seine.
»Hast du Leopold denn so sehr geliebt?«, hatte Alexa gefragt.
Giulietta blinzelte. »Alles ist so kompliziert«, brachte sie heraus und konnte ihre Tränen nicht unterdrücken. Es war lange her, seit die Dogaressa ihre Nichte zuletzt in die Arme geschlossen und getröstet hatte.
Alexa ließ sie erst los, als das bitterliche Schluchzen aufhörte. Sie strich ihr über das Haar, drückte einen Kuss auf ihre Stirn, wie früher, als Giulietta noch ein kleines Mädchen gewesen war. »Du bist doch noch so jung.«
»Ich bin siebzehn.«
»Ja, genau das meine ich. Du denkst, dein Leben sei vorbei, dabei hat es gerade erst begonnen. Wie kann ich dir helfen?« Ein wenig abwesend wischte sie mit den Fingerspitzen eine Träne von der Wange ihrer Nichte und kostete den Geschmack.
»Es gibt Heilmittel gegen Traurigkeit und Medizin gegen den Kummer. Aber diese Heilmittel würden dich zugleich verändern, und das würde dir nicht gefallen. Wie kann ich deinen Kummer lindern?«
»Ich will nach Hause.«
»Du willst hierher zurück, in den Palazzo Ducale?« Die Dogaressa war überrascht. »Ich habe gedacht, du wärst froh gewesen, den Palast endlich verlassen zu können.«
»Ich meine Alta Mofacon.«
»Du hast dort nur drei Sommer verbracht, als kleines Kind.«
»Für mich war es wie ein Zuhause«, erklärte Giulietta heftig. »Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich größere Anwesen besitze, ich habe mir die Liste angesehen. Zwei Städte, drei Stapelplätze, fünf Kleinstädte, ein dutzend Landsitze, sechsunddreißig Dörfer, zwei Eichenwälder …«
Die Dogaressa nickte anerkennend. Die Eichenwälder waren so viel wert wie die sechsunddreißig Dörfer zusammen, denn Holz war eine begehrte Ware. Die Werften benötigten es für den Schiffsbau, und die Mamelucken waren ebenfalls gute Kunden, da sie die Wälder ihres eigenen Hinterlands abgeholzt hatten. Die Gießereien hatten einen großen Bedarf an Holzkohle, die teuer zu kaufen und lohnend zu verkaufen war. Dogaressa Alexa hielt große Stücke auf den Besitz von Wald.
»Und hier sind Leopolds Ländereien oder die meines Vaters in den Karpaten noch gar nicht mitgerechnet.«
»Du bist eine wohlhabende junge Dame.«
»Ich war immer reich.«
»Jetzt bist du noch reicher …« Alexa verstummte unerwartet. Giulietta fiel plötzlich ein, was Tycho ihr gesagt hatte: dass ihre Tante hinter ihrer Entführung steckte.
Wie immer in kniffligen Situationen brühte Alexa einen Tee auf. Anschließend rief sie den Schreiber. Sie befahl ihm, für Giulietta einen Ausweis anzufertigen, der ihr gestattete, die Stadt zu verlassen. Dann begab sich Giulietta auf die Suche nach Marco und fand ihn auf dem Dach des Palastes, wo er Tauben mit Rosinen, Schalen kandierter Früchte und Kuchenstückchen fütterte. Er unterschrieb den Ausweis, ohne zu lesen, was darauf stand.
»Meine zauberhafte Cousine …«
Schon halb im Gehen, sah Giulietta lächelnd zu ihm zurück. »Viel Spaß«, sagte er. »Grüß die Pinien von mir.« Er warf ihr einen Luftkuss zu und zerbröckelte das Naschwerk in noch kleinere Stückchen.
»Woher weiß er das?«, fragte sie kurz darauf ihre Tante.
Alexa zuckte die Achseln. »Narren sind schwer einzuschätzen.
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