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Nachtklinge: Roman (German Edition)

Nachtklinge: Roman (German Edition)

Titel: Nachtklinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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mir«, sagte er schließlich, »und dabei hätte ich womöglich zu dir kommen sollen. Meine Nichte Elizavet hat mir von dir erzählt, sie sagt …«
    Er bemerkte Tychos Überraschung.
    »Hast du denn nicht gewusst, dass ich ihr Onkel bin?«
    »Nein«, erwiderte Tycho. »Ich habe Elizavet für eine Spionin der Dogaressa gehalten.«
    Der Rabbi verzog das Gesicht. »Vielleicht bist du mehr als nur ein junger Mann, vielleicht auch nicht. Das weiß nur Gott allein. Was war deine beste Tat?«
    »Ich habe Pietro aus dem Verlies der Schwarzkreuzler gerettet.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Ich habe ein Zuhause für ihn gefunden.«
    »Würde ein Dämon so etwas tun?«
    Die Frage war durchaus ernst gemeint. Tycho zuckte die Achseln.
    »Glaubst du an Gott?«
    »Nein …« Das war die erste Antwort, über die er nicht nachdenken musste.
    »Du solltest an ihn glauben. Als ein Teil dieser Welt bist du ein Teil von Gott. Es ist sein Wille, dass du existierst. Noch zwei Fragen: Nenne mir das Hässlichste und das Schönste, das du je gesehen hast.«
    »Ich habe es nicht gesehen. Ich war es selbst.«
    »Ein Ungeheuer. Und das Schönste?«
    »Eine junge Frau, halbnackt in der Dunkelheit.«
    »Etwa meine Nichte?«
    Zur Erleichterung des Rabbis schüttelte Tycho den Kopf. »Also«, sagte der Alte, »diese junge Frau. Liebst du sie?«
    Mehr als mein Leben. Was sollte diese Sehnsucht sonst bedeuten?
    »Antworte mir!«, befahl der Rabbi barsch.
    »Ja … ich liebe sie.«
    »Willst du sie heiraten?«
    Tycho blickte wie gebannt auf seine Hände. »Es gibt nichts, was ich mir mehr wünsche.«
    »Na, das klingt doch alles ganz vernünftig. Geh zu der jungen Frau und schließe Frieden mit ihr, wenn das möglich ist. Bitte sie um Verzeihung für alles Schreckliche, was du getan haben magst.« Der Rabbi lächelte. »Und wenn du mich das nächste Mal besuchst, benutze die Eingangstür.«

39
    A us dem Balkonfenster drangen die Klänge eines Cembalos. Im Zimmer brannte kein Licht, und obwohl die untergehende Sonne die Dächer blutrot erglühen ließ, musste es in dem Raum beinahe dunkel sein.
    Jemand schlug die Noten heftig und leidenschaftlich an.
    Giulietta spielte einen falschen Ton und schlug voller Zorn mit der Handfläche auf die Tasten. Tycho vernahm ein Aufschluchzen, jemand schmetterte eine Tür ins Schloss und Fußschritte entfernten sich.
    Alte Erinnerungen stiegen in ihm auf, und er kletterte langsamer. Winzige Widerhaken schienen seine Haut zu durchbohren, und jemand schien heftig an den unsichtbaren Fäden zu ziehen, die an ihnen befestigt waren. Er erwog ernsthaft, die Fassadenkletterei an der Ca’ Friedland aufzugeben und nach Hause zu gehen. Das brüchige Mauerwerk war teilweise repariert worden. An manchen Stellen war der Efeu entfernt worden, und die Backsteine waren frisch verfugt oder ganz neu. Dann hatte man die Arbeiten offenbar abgebrochen. Entweder hatte Giulietta die Lust daran verloren oder sie war mit den Handwerkern aneinandergeraten. An mangelndem Geld konnte es jedenfalls nicht liegen. Nach dem Tod von Desdaio Bribanzo war Giulietta nun die reichste Erbin der Stadt.
    Er hatte ihren Balkon beinahe erreicht. Die hohen, schmalen, spitz zulaufenden Fenster und die schlichte Marmorbrüstung drohten unter dem Würgegriff der Efeuranken zu ersticken. Die hölzernen Fensterläden waren vom Alter verwittert und an der Unterkante ein wenig verfault.
    Er warf eine Handvoll Putz, der sich gelockert hatte, über die Brüstung. Es raschelte vernehmlich. Kurz darauf schob jemand den Fensterriegel zurück und riss die Läden auf.
    »Wer ist da?«
    Ihre Stimme berührte Tycho noch mehr als die Musik, die ihn beinahe zum Weinen gebracht hatte. Allein beim Klang ihrer Worte wurde ihm flau, und sein Herz hämmerte. Seine Kleidung war blutbeschmiert, gerade noch hatte er sich selbst als Dämon bezeichnet. Er war besorgt, weil sie die Läden ohne zu zögern geöffnet hatte. Woher wusste sie, dass ihr keine Gefahr drohte?
    Giulietta lehnte sich weit über die Brüstung, als wollte sie ein leichtes Ziel abgeben. Zu gern hätte Tycho ihr befohlen, in den Schatten zurückzuweichen, oder wäre mit einem Satz zwischen die beiden Wachposten an der Eingangstür gesprungen, um ein bisschen Tüchtigkeit in sie hineinzuprügeln.
    »Ich weiß, dass jemand hier ist.« Sie schwenkte drohend ein Stilett.
    »Hoffentlich ist es scharf.«
    »Tycho?«
Sie erstarrte.
    »Ich komme hoch.« Er packte eine kräftige Efeuranke und zog sich daran empor, alles in

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