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Nachtleben

Nachtleben

Titel: Nachtleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mich mit nur wenigen Schritten und fischte Ingrid aus dem Wasser.
    Einen Moment lang hielt er sie an beiden Armen über dem Teich, um sie abtropfen zu lassen. Das Wasser plätscherte aus ihrem Kleid, das fast durchsichtig an ihrem mageren Körper klebte. Es war, als würde Ingrid selbst aus dem Kleid triefen. Kraftlos über dem Wasser baumelnd, sah sie Mutter an, vergaß vor Schreck zu weinen, sondern hustete nur vor sich hin. Schließlich setzte Ronnys Vater sie ab, kniete sich vor sie und klopfte ihr auf den Rücken. Dabei warf er Mutter einen verständnislosen Blick zu, die mit verschränkten Armen ein Stück entfernt stand und am Geschehen vorbeischielte. Ingrid lief nicht zu ihr.
    |326| »Haben Sie ein Handtuch dabei?«, fragte Ronnys Vater, aber Mutter reagierte nicht.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Moni?«, rief er seiner Frau zu. »Haben wir Handtücher?«
    Sie nickte.
    »Wir müssen jetzt los«, sagte Mutter überraschend resolut. »Unser Zug fährt.« Gerade setzte sie zum Blick auf ihre Armbanduhr an, als sie bemerkte, dass ich sie noch immer trug.
    »Wir sehen jetzt erst mal zu, dass das Kind trocken wird«, sagte Ronnys Vater kopfschüttelnd und rieb Ingrid über die Arme. »Alles in Ordnung?«, fragte er sie. Ingrid knabberte an ihrer Unterlippe und nickte stumm. »Trocknen wir dich erst mal ab, ne?«
    Ingrid sah mich an, und ich blinzelte.
    »Hier«, rief Ronnys Mutter und wedelte mit einem Handtuch.
    Während Mutter zurückblieb, gingen wir wieder zur Decke. Ronnys Mutter zog Ingrid das Kleid aus und trocknete sie ab.
    »Du brauchst neue Klamotten, oder?«, fragte sie. Als Ingrid nicht antwortete, rubbelte sie ihr kräftig mit dem Handtuch über die Brust und sagte lächelnd: »Ja. Brauchst du.« Dann konnte ich auch ein schüchternes Lächeln in Ingrids Gesicht sehen. »Gerrit, schenken wir ihr das grüne T-Shirt?«, fragte sie ihren Mann, und er nickte. »Kannst du das schon alleine anziehen, oder soll ich dir helfen?«
    »Helfen«, antwortete Ingrid.
    Ronny stand mit einem Gesichtsausdruck, der zwischen Grinsen und Unverständnis pendelte, daneben. Weil ich nicht tatenlos zusehen wollte, hob ich den Fotoapparat auf. Um Ingrid abzulenken, sagte ich: »Lach mal.«
    »Die sieht doof aus«, sagte Ronny und zeigte mit dem Finger auf Ingrid, die mir ärgerlich die Zunge rausstreckte. Ich knipste.
    »Das Handtuch geben wir denen auch noch mit, ja?«, sagte |327| Ronnys Mutter, wieder an ihren Mann gerichtet. Der zuckte nur mit den Schultern und sah mich mit einem hilflosen Blick an.
    Anschließend beobachteten mich Ronnys Eltern dabei, wie ich Ingrid die Sandalen anzog. Dabei schienen sie die ganze Zeit über etwas sagen zu wollen, atmeten aber, was auch immer es war, mit einigen flachen Atemzügen in sich hinein.
    »Danke schön«, sagte ich schließlich, ohne sie anzusehen, und zog Ingrid hinter mir her.
    »Danke schön«, sagte auch Ingrid.
    Ronnys Eltern sahen uns hinterher, als gingen wir zum Galgen.
    »Tschüss, Ronny«, rief Ronny.
     
    Mutter marschierte los, und Ingrid hatte Schwierigkeiten, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Nach einigen Minuten Fußweg – der Ausgang des Parks war in Sichtweite – blieb Mutter stehen und kam uns entgegen, musterte uns und fand schließlich etwas, das es zu beanstanden gab.
    »Richard, du hast Ketchup im Gesicht«, sagte sie. »Wie sieht das denn wieder aus?« Sie kniete sich hin, holte ein Taschentuch aus dem Rucksack, und nachdem sie es angeleckt hatte, wischte sie mir grob den Ketchup vom Mund.
    »Mama«, nölte ich und drückte ihre Hand weg.
    »Das sieht unmöglich aus«, sagte Mutter und rieb fester. Dann besah sie sich mein Gesicht, als habe sie einen Silberlöffel poliert, steckte das Taschentuch in meine Hosentasche, hielt inne, tastete, griff tiefer hinein und zog schließlich vier schwarze Murmeln heraus.
    Sie lagen auf ihrer Handfläche wie Miniaturunwetter.
    Ingrid knabberte an ihrer Unterlippe.
    »Was ist das?«, fragte Mutter. Aber ich antwortete nicht und bekam prompt eine Backpfeife. Ich starrte auf meine Füße, und Mutter scheuerte mir gleich noch eine. »Woher kommen die, Richard?«
    |328| »Aus der Küche«, sagte Ingrid, und Mutter verzog ärgerlich das Gesicht.
    »Richard, ich kann dir nicht immer alles durchgehen lassen. Ich bin deine Mutter!«, sagte sie, und ich kassierte die nächste Ohrfeige. »Dein Glas war sowieso schon voll. Das setzt heute noch was.« Damit erhob sie sich und ging. »Das setzt aber richtig was«, murmelte sie, ohne

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