Nachtpfade
dem
obergrünen Daumen zeugte. Die Geranien in den Kästen waren unnatürlich üppig,
an der Seitenfront rankten Bohnen, und in Kübeln gediehen Tomaten, die
irgendwelche Mutanten sein mussten, so riesig waren sie. An einem kleinen
Bistrotisch, dessen Fuß verrostet war, saß eine Frau auf einem klapprigen
Biergartenstuhl. Sie war sehr dünn und rauchte angesichts des übervollen
Aschenbechers augenscheinlich wie ihr Lover auch Kette. Bodenmüller hatte sich
an den beiden Polizisten vorbeigedrückt.
»D Bullerei, dia wend zu dir. Hosch eabbas gstohla, du
bleds Stück?« Er lachte brüllend.
Die Frau auf dem Stuhl schien gleichsam zu schrumpfen.
Sie sackte zusammen. Sie verlor noch mehr an Farbe, falls das bei ihrer
bleichen Haut überhaupt noch möglich war.
»Herr Bodenmüller, Sie verlassen augenblicklich diesen
Balkon.« Gerhard machte einen Schritt auf ihn zu, und als Bodenmüller eine
kleine Handbewegung machte, packte Gerhard ihn blitzschnell, überwältigte ihn,
drehte ihm die Hände auf den Rücken, und schnapp – die Handschellen waren zu.
»Tätlicher Angriff auf die Polizei, ts, ts, ts«,
machte Evi. »Das sieht gar nicht gut aus, Herr Bodenmüller!«
»Dir spinntet doch, dir Saubulla«, brüllte der.
»Auch noch Beamtenbeleidigung, ts, ts, ts.« Evi
schüttelte den Kopf und schob Bodenmüller durch die Terrassentür. Eine Zwergin
schob einen Riesen, der keinen Widerstand mehr leistete. Im Gehen zwinkerte Evi
Gerhard zu.
Der zwinkerte zurück. Sie waren ein gutes Team und
meisterliche Schauspieler, wenn es drauf ankam. Gerhard hatte sich inzwischen
den zweiten verbeulten Stuhl geangelt und sich zu Janette Paulig gesetzt. Er
sah in ein Gesicht, das sicher einmal sehr hübsch gewesen sein musste. Heute
lagen tiefe Stirnfalten auf diesem Gesicht, schwarze Augenringe und geplatzte
Äderchen. Auch sie war dem Alkohol sicher nicht abhold. Das blond gefärbte Haar
war strohig und dunkelte am Ansatz nach.
»Frau Paulig, ich muss Ihnen leider eine schlechte
Nachricht überbringen.«
Sie reagierte nicht.
»Frau Paulig?«
Nichts.
»Frau Paulig, es geht um Ihre Tochter Jacky.«
Nun sah sie auf. »Hat sie mal wieder ihren Job
verloren? Verkauft sie Drogen?«
»Weniger, Frau Paulig. Sie ist tot.«
In dem Moment ließ Janette Paulig ihre Zigarette
fallen und begann hysterisch zu kreischen. Immer lauter. Von drinnen hörte man
Bodenmüller brüllen, es war ein Geräusch-Inferno. Gerhard tat nichts, außer
sich nach der Zigarette zu bücken, die er behutsam im Aschenbecher ausdrückte.
Janette Paulig wurde leiser. »Tot?«
»Ja, sie wurde tot am Bayersoiener See aufgefunden.
Wir wissen noch nichts Genaueres. Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?«
»Vor ‘nem halben Jahr. Sie brauchte Scheiß-Geld.«
Janette Paulig hatte sich mit zitternden Fingern eine neue Zigarette
angesteckt.
»Sie hatten keinen besonders guten Kontakt zu ihr?«,
fragte Gerhard.
»Sie kam mit Mike nicht klar.«
»Und Mike nicht mit Jacky?«, fragte Gerhard.
»Was geht Sie das an?« Ihre Stimme wurde wieder
schrill.
»Nun, Herr Bodenmüller scheint mir ein streitbarer
Zeitgenosse zu sein. Nicht der Inbegriff des liebenden Stiefvaters, oder, Frau
Paulig?« Ein wenig Provokation konnte nicht schaden, befand Gerhard, sie lockte
Menschen meist aus der Reserve.
»Scheiße! Sie wissen nichts, gar nichts!« Sie schlug
den Aschenbecher vom Tisch und begann zu weinen. Minuten vergingen. Evi war auf
den Balkon gekommen und zog Gerhard zur Seite. Sie flüsterte: »Der Bodenmüller
sitzt ganz zahm auf der Couch, die Drohung, dass er in den Knast geht, hat
gefruchtet. Er hat Angst um seinen Arbeitsplatz. War wohl lange arbeitslos und
hat jetzt was Neues als Lagerarbeiter bei der Käserei Edelweiß gefunden. Und
sie?«
»Klassische Alkoholikerin, würde ich sagen. Aggression
und Depression liegen sehr nahe beisammen. Gib ihr noch ein paar Minuten.«
Sie lehnten an den Balkonbrüstung und betrachteten die
umliegenden Häuser: würfelförmige mehrstöckige Häuser, marode Fassaden und
Minibalkone, meist geschmückt von riesigen Satellitenschüsseln.
»Ist sie wirklich tot?« Frau Paulig klang auf einmal
so, als käme ihre Stimme von weit her.
»Ja, es tut uns sehr leid«, sagte Evi »aber wir können
ein Verbrechen nicht ausschließen. Wenn es einen Täter gibt, werden wir ihn
finden. Aber dazu brauchen wir Ihre Hilfe. Verstehen Sie, Frau Paulig?«
Janette Paulig nickte mit halb offenem Mund.
»Frau Paulig, Sie haben meinem
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