Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtprinzessin

Nachtprinzessin

Titel: Nachtprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
bekommt Bafög. Es reicht gerade mal so.«
    »Dürfte ich mal ganz kurz Ihren Ausweis sehen?«
    »Ja, klar. Warum nicht.« Ellen reichte ihn ihr, und Susanne sah auf das Geburtsdatum. Ellen Umlauf war neunundvierzig Jahre alt, sah aber aus wie fünfundsechzig.
    »Was hatte Ihr Sohn für Freunde? War er beliebt?«
    »Natürlich war er beliebt! Er war halt nur ein bisschen schüchtern.«
    »Frau Umlauf, kann es sein, dass Ihr Sohn homosexuell war?«, fragte Susanne so behutsam wie möglich.
    »Wie bitte?« Ein Ruck ging durch Ellens Körper, als hätte sie sich im letzten Moment selbst daran gehindert aufzuspringen. Ihre Wangen glühten. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Unsere Ermittlungen gehen in diese Richtung.«
    Ellen saß einen Moment ganz still da und sagte gar nichts. Ihre Augen wanderten unruhig von rechts nach links, aber Susanne glaubte nicht, dass sie im Zimmer irgendetwas bewusst wahrnahm. Schließlich trank sie ihren Kaffee aus und meinte mit schleppender Stimme: »Erzählen Sie mir nichts! Ich arbeite auf einer Pflegestation. Das ist kein Zuckerschlecken, da geht’s zur Sache. Ich füttere und wickle die Leute, stecke ihnen die Tabletten in die Leberwurst, damit sie sie runterschlucken, und ich weiß, wie sie aussehen, wenn für immer Feierabend ist. Ich bin so leicht nicht zu erschüttern, glauben Sie mir. Und ich sehe jedem an der Nasenspitze an, wenn er schwul ist. Diese Typen sind nämlich auch mit fünfundachtzig noch schwul. Aber mein Jochen? Niemals!«
    »Frau Umlauf, vertraute sich Ihr Sohn Ihnen an, wenn er Probleme hatte?«
    »Ob er sich mir anvertraute?« Sie überlegte. »Ich würde mal sagen, er wäre bestimmt zu mir gekommen und hätte gesagt: ›Übrigens, Mama, ich bin schwul. Das ist nun mal so, auch wenn du dich auf den Kopf stellst.‹ So was in der Art hätte er bestimmt gesagt. Hat er aber nicht.«
    »Und wie hätten Sie in so einem Fall reagiert?«
    »Keine Ahnung. Weiß ich wirklich nicht. Vielleicht wäre ich ausgerastet. Vielleicht auch nicht.«
    »Wieso?«
    Ellen zuckte die Achseln. »Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen.«
    Susanne sagte nichts dazu, aber es erschien ihr nicht sehr wahrscheinlich, dass Ellen nicht zumindest geahnt hatte, was mit ihrem Sohn los war. Anscheinend hatte sie es total verdrängt. Sie wollte einen normalen Sohn, also hatte sie einen normalen Sohn. Vor allem anderen verschloss sie die Augen.
    »Bitte erzählen Sie mir, was genau passiert ist!«, bat Ellen Umlauf leise. »Die Kollegen in Stuttgart haben so gut wie gar nichts gesagt.«
    Das war genau die Frage, die Susanne befürchtet hatte. Sie sah in den Augen der Mutter, wie sehr sie hoffte, dass Susanne ihr bestätigte, dass der Tod schnell und schmerzlos gekommen war.
    Susanne wusste nicht, was sie sagen sollte. Am liebsten hätte sie gelogen, dass sich die Balken bogen, aber das konnte sie nicht. Irgendwann würde Jochens Mutter ja doch die Wahrheit erfahren.
    »Er ist im Bett gestorben, Frau Umlauf. Und er hatte sich mit einem Mann eingelassen. Er hielt ihn für seinen Geliebten, aber es war sein Mörder. Ich nehme an, dass er wusste, was er tat. Er ließ sich freiwillig auf sexuelle Experimente ein, und sehr wahrscheinlich hat es ihm auch gefallen. Jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Bis zum point of no return . Da ist das Ganze aus dem Ruder gelaufen, und der andere hat die Kontrolle verloren oder es ganz bewusst übertrieben. Es war ein Unfall oder ein Mord. Genau wissen wir das noch nicht.«
    Ellen Umlauf sah aus, als hätte sie kein Wort verstanden. »Hat er gelitten?«
    »Ich glaube nicht.« Dabei wusste Susanne ganz genau, dass sexuell motivierte Mörder den Todeskampf ihres Opfers so lange wie möglich hinauszögerten und sich daran ergötzten. »Was hatten Sie denn für ein Verhältnis zu Ihrem Sohn?«
    »Ich weiß es nicht. Kann das schwer beschreiben.« Ellen starrte auf ihre Finger und riss sich die Nagelhaut von ihrem Daumen in Fetzen, bis es blutete. »Er war immer sehr freundlich, sehr liebevoll. Einfach ein netter Junge. Ganz normal eben.«
    Sie stand auf, lutschte an ihrem Daumen und ging ans Fenster. Jetzt erst bemerkte sie die Straßengeräusche, die bis ins Büro drangen.
    »Bitte, fahren Sie mich endlich in die Pathologie. Ich habe das Gefühl, er wartet auf mich.«
    Susanne nickte.

10
    10
    Sein Handy steckte hinten in seiner Jeans und klingelte um Viertel nach zehn, zur denkbar ungünstigsten Zeit. Über dem Herd klemmten die Bons, es waren noch fünfzehn

Weitere Kostenlose Bücher