Nachtprinzessin
Boden, dem Fernseher gegenüber. Thilda kniete neben ihm und wusch ihm das Blut vom Gesicht. Die Lippe war aufgeplatzt, und die Augen waren zugeschwollen. Das gesamte Bettzeug war voller Blut, auf der Stirn hatte er eine Platzwunde, die sich über den Haaransatz hinaus bis zur Mitte des Schädels weiter fortsetzte.
Er lag völlig apathisch da.
»Du lieber Himmel«, sagte Matthias als Erstes. »Du siehst ja fürchterlich aus!«
»Einen Schneide- und einen Eckzahn haben sie ihm auch ausgeschlagen, und die Kopfwunde müsste dringend genäht werden«, meinte Thilda. Sie machte einen unglaublich gefassten Eindruck, was Matthias wunderte, da sie bei allem, was Alex betraf, zur Hysterie neigte.
Alex versuchte unter Schmerzen, den Kopf zu schütteln.
»Du behältst sonst eine schreckliche Narbe zurück, die dich völlig entstellen wird. Sei doch nicht so dumm!«
»Scheiß was drauf«, presste Alex mühsam heraus.
Matthias sah sich um. Er war monatelang nicht im Loft gewesen. Mehrmals hatte er ihn angerufen und gebeten, kommen zu dürfen, aber Alex hatte immer abgelehnt.
»Es geht nicht«, hatte er jedes Mal knapp gesagt. »Ausgeschlossen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich es nicht will. Außerdem ist nicht aufgeräumt.«
»Das stört mich nicht.«
»Aber mich.«
»Warum räumst du dann nicht auf?«
Alex beendete das Gespräch mit einem Stöhnen, und Matthias fragte sich, ob sein vierundzwanzigjähriger Sohn jemals aus der Pubertät herauskommen würde.
Vor zwei Jahren hatte er Alex das Loft gekauft, hatte es renoviert und Küche und Bad eingebaut. Alex war begeistert gewesen. Der Raum hatte knapp zweihundert Quadratmeter, beeindruckende hohe Fenster mit Bleiverglasung auf der gesamten Längsfront und eine Höhe von fünf Metern. Nur die offene Küche hatte Steinfliesen, überall sonst hatte Matthias Parkett verlegen lassen. Er hatte sich eingebildet, dass eine fantastische, außergewöhnliche Wohnung automatisch den Wunsch erwecken würde, sie zu genießen und in Ordnung zu halten – aber das Gegenteil war der Fall.
Das Loft sah mittlerweile aus wie eine Müllhalde, das Parkett war verdreckt, mit Flecken übersät und zerkratzt, und Alex war es gelungen, seine Wäsche, leere Flaschen, volle Aschenbecher, DVD s und CD s gleichmäßig über zweihundert Quadratmeter zu verteilen. Er fragte sich, ob sein Sohn überhaupt schon jemals aufgeräumt hatte, die wunderschönen Fenster waren jedenfalls in den zwei Jahren noch nie geputzt worden.
Im letzten halben Jahr hatte Matthias Alex nur zweimal gesehen, als dieser sich eher widerwillig zum Essen einladen ließ und wie immer sehr schweigsam war. Er antwortete höchstens mit Ja oder Nein und sagte ein paarmal: »Ansonsten gibt’s bei mir nichts Neues.«
»Alex, bitte, sag uns, wer dich so zugerichtet hat.«
Alex schüttelte den Kopf.
»Du hast jede Menge Probleme am Hals, stimmt’s?« Alex reagierte nicht, und Matthias überlegte, ob er seine Augen nicht öffnen wollte oder nicht konnte. »Wenn du uns nicht erzählst, was los ist, können wir dir auch nicht helfen.«
Alex schwieg.
»So kommen wir jetzt nicht weiter, Matthias.« Thilda wurde energisch. »Wir müssen ihn ins Krankenhaus bringen. Die Wunde muss genäht werden, da hilft alles nichts.« Sie beugte sich über Alex. »Und wenn du uns nicht sagen willst, was mit dir passiert ist – gut. Das ist deine Entscheidung, aber jetzt sei nicht so stur und komm mit. Im Krankenhaus wird dich keiner fragen, woher die Wunde stammt. Zumindest musst du ihnen nicht antworten. Aber wenn du dich hier weiter stur stellst, dann rufe ich die Polizei und mache eine Anzeige gegen unbekannt. Und dann kommt das Ganze ins Rollen. Das schwör ich dir. Denn die Polizei interessiert sich auf alle Fälle dafür, wer dich verprügelt hat.«
Alex erhob sich langsam und verzog dabei das Gesicht vor Schmerz. Jede Bewegung tat ihm weh, und er konnte nicht auftreten.
Matthias stützte ihn. Alex hüpfte mühsam neben ihm her und biss die Zähne zusammen.
11
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Alexander schaltete ab. Er hing auf dem Rücksitz von Matthias’ Porsche, den er zum Kotzen fand. Heute noch mehr als normalerweise. Für ihn war es ein reines Angeberauto, unpraktisch und unbequem dazu. Aber selbstverständlich kam für seinen Vater gar kein anderes Auto infrage. Er musste ja Eindruck schinden bei seinen Jünglingen, schließlich war er nicht mehr der Jüngste, und da blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen schlaffen Hintern mit Reichtum
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