Nachtprinzessin
Giglio Castello, und Matthias musste sich zusammennehmen, seine Hand nicht auf Adrianos Knie zu legen. Adriano trug kurze schwarze Shorts, seine Beine waren muskulös, tief gebräunt und beinah gänzlich unbehaart. Dazu ein weißes Netzhemd, das seine ebenso durchtrainierten Oberarme gut zur Geltung brachte.
Was bin ich gegen ihn, dachte Matthias, ein zwar sportlich wirkender, aber doch schon erschlaffter Mittvierziger mit Geld, der noch einmal die Frische der Jugend kosten wollte.
Nach dem Ort dirigierte Adriano ihn auf eine schmale kurvige Straße, die Matthias allein niemals gefahren wäre. Links von ihm steile Felsen, rechts der ungesicherte Abgrund. Mehrere Hundert Meter tief bis zum Meer.
Matthias schwitzte Blut und Wasser, weil er nicht wusste, was er machen sollte, wenn ihm hier jemand entgegenkam. Ausweichstellen gab es nur alle paar Hundert Meter, und er konnte sich nicht vorstellen, dass er es wagen würde, auf dieser Straße rückwärts bis zur nächsten Parkbucht zu fahren.
»Gefällt dir der Ausblick?« Adriano warf den Kopf in den Nacken und sah in die Ferne. Sein Adamsapfel war nicht ausgeprägt.
»Sehr. Ich hoffe nur, dass uns niemand entgegenkommt.«
»Ach was.« Adriano lachte. »Dann fährt einer von euch beiden rückwärts. Was soll schon sein?«
Sieben Minuten dauerte die Fahrt, dann gelangten sie auf einen Parkplatz, auf dem nur ein einziges Auto stand.
»Hier lassen wir den Wagen stehen«, meinte Adriano. »Den Rest des Wegs gehen wir zu Fuß. Ich hoffe, du schaffst das. Bis zu den Klippen sind wir mindestens anderthalb Stunden unterwegs, und dann müssen wir ja auch wieder zurück. Aber ich bin mir sicher, du hast noch nie etwas Vergleichbares gesehen.«
»Wunderbar«, murmelte Matthias. »Alles kein Problem. Ich bin ganz gut zu Fuß.« Und er war sich sicher, dass er so etwas auch noch nie erlebt hatte. In seiner Fantasie sah er Adriano nackt im Sonnenlicht auf einem warmen Felsen, der ins Meer hinausragte. Ab und zu spritzte die Gischt einer Welle über ihn, was ihn jedes Mal zusammenzucken ließ. Und seinen ganzen Körper überzog eine leichte Gänsehaut. Matthias wusste nicht, welchen Gedanken er erregender fand: von dieser blutjungen Schönheit genommen zu werden oder ihn selbst zu besitzen, bis Adriano ihm schwor – vor Lust völlig von Sinnen –, diesen kleinen, penetranten Ragazzo nie wiederzusehen.
Die ersten fünfhundert Meter liefen sie auf einem bequemen Wanderweg am Rand eines Wäldchens, und Matthias stellte sich auf einen angenehmen Spaziergang ein.
Als sich der Wald lichtete und die Felsen begannen, bogen sie auf einen steinigen, schmalen Pfad ein. Matthias bemerkte hinter einem zugewucherten Steinhaufen eine umgekippte Vespa und dachte noch einen Moment, wie ungehörig und unmöglich es war, dass die Leute solche Dinge hier einfach entsorgten, aber dann vergaß er es auch sofort wieder und konzentrierte sich auf Adriano, der leichtfüßig voranlief.
Matthias hatte Mühe, ihm zu folgen. Er musste bei jedem Schritt aufpassen, wo er hintrat, um sich nicht die Füße zu brechen. Aber er wollte sich keine Blöße geben und lief schneller, als er konnte. Der Schweiß rann ihm in Strömen übers Gesicht und den Rücken hinab, sein Kopf glühte, und er wusste, dass es ein Fehler gewesen war, keinen Hut aufzusetzen. So würde er die nächsten anderthalb Stunden niemals überstehen. Sein Herz würde aussetzen, und er würde umfallen wie ein gefällter Baum.
»Langsamer«, stöhnte er. »Bitte, lauf nicht so schnell, ich bin schließlich auch schon sechsundzwanzig!« Es sollte ein Scherz sein, aber Adriano lachte nicht.
»Gut, gut.« Adriano lehnte sich gelangweilt an einen Felsen und zündete sich eine Zigarette an. »Kein Problem. Setz dich hin und ruh dich aus.«
Er stand da und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
Ich langweile ihn, dachte Matthias, du lieber Himmel, er hat das Gefühl, mit einem alten Herrn spazieren gehen zu müssen. Im Schneckentempo.
Noch nicht einmal Wasser hatten sie dabei.
Nach fünf Minuten gingen sie weiter, und Matthias diktierte das Tempo. Adriano ging zwar voraus, musste aber ab und zu stehen bleiben und auf ihn warten.
Nach dreißig Minuten erreichten sie den Leuchtturm. Ein quadratischer, weißer Turm an der Steilküste der Insel. Mit Brettern vernagelte Fenster, das kleine, zum Leuchtturm gehörende Grundstück eingezäunt und vollkommen verwildert. Brombeeren und knorrige Heckenrosen wucherten bis ans Gebäude, Plastiktüten mit
Weitere Kostenlose Bücher