Nachtprinzessin
Leinenhose, offenes, dazu passendes Leinenhemd, der Seidenschal luftig und wie zufällig um die Schultern geworfen. Er schob seine Brieftasche aus echtem Krokoleder in die Gesäßtasche und spürte sofort, dass das nicht gut war. Sie war zu dick und zu schwer, zog die leichte Hose nach unten und beulte die Tasche hässlich aus. Außerdem schimmerte das dunkle Leder durch den hellen Stoff.
Besser, ich lasse sie zu Hause, dachte er sich, was brauche ich meine Kreditkarten bei einem Spaziergang über die Insel? Vielleicht nehmen wir irgendwo einen kleinen Imbiss zu uns, und dann reichen ein paar Euro.
Dem winzigen Täschchen, in dem er den Schmuck aufbewahrte, den er auch auf Reisen dabeihatte – einen Siegelring, eine goldene Kette, Manschettenknöpfe –, entnahm er eine echt goldene übergroße Klammer, in die er ein paar Geldscheine, sechs Fünfziger, einen Zwanziger und zwei Zehner klemmte. Klammer und Münzen verstaute er in den Hosentaschen. Das war unauffällig, elegant und allemal ausreichend für den kleinen Ausflug.
Ab halb elf saß er auf seinem Balkon und begann nervös zu werden. Was war, wenn Adriano die Verabredung nicht so ernst genommen oder vergessen hatte? Er war ein Tourist unter vielen, vielleicht hatte er die Anfrage auch nur abgenickt, wie er es schon Dutzende Male getan hatte. Und hatte das Angebot zwei Minuten später vergessen.
Der Schweiß brach ihm aus. Ohne Adriano würde er keine Nacht mehr überstehen. Der frische Wind vom Hafen fühlte sich unter seinem feuchten Hemd kühl, aber klebrig an.
Er überlegte, ob er sich noch einmal umziehen sollte, als er das Knattern einer Vespa hörte. Der Ragazzo donnerte die Straße herunter, hinter ihm auf dem Sozius saß Adriano.
Matthias’ Herzschlag setzte einen Moment aus.
Der Ragazzo bremste scharf vor der Marcelleria. Adriano stieg ab und zündete sich eine Zigarette an. Die beiden wechselten noch ein paar Worte, und dann brauste der Ragazzo wieder davon.
Matthias jubilierte. Dieser Widerling wusste mit großer Wahrscheinlichkeit von ihrem Treffen. Adriano betrog den kleinen Stricher also öffentlich, denn dass an diesem herrlichen Tag etwas geschehen konnte, war ja leicht vorstellbar. Wie wundervoll!
Es war ein erhebendes Gefühl, den geliebten Menschen einfach nur so zu sehen und beobachten zu können, und er bildete sich ein, noch keine zwanzig zu sein.
Matthias sah auf die Uhr. Zwanzig vor elf. Wieso war Adriano so früh gekommen? Dem anfänglichen Impuls, sofort hinunterzulaufen, widerstand er und wartete ab.
Keine drei Minuten brauchte Adriano, die Zigarette zu rauchen, dann verschwand er im Haus. Und Matthias’ ursprüngliche Angst, dass er die Verabredung vergessen haben könnte, war wieder da.
Quälende fünfzehn Minuten geschah gar nichts.
Jedoch pünktlich um zwei Minuten vor elf trat Adriano wieder auf die Straße und sah sich suchend um.
Matthias schaffte es mit Müh und Not, während er sich gegen die Wand stemmte und vor Nervosität mit den Fingerspitzen trommelte, weitere drei Minuten zu warten. Am liebsten wäre er ihm sofort entgegengerannt, noch lieber hätte er ihn umarmt, aber das durfte alles nicht sein.
Schließlich ging er ihm entgegen. Adriano bemerkte ihn nicht, er sah gerade auf die Uhr und schien zu überlegen, ob er noch länger warten solle, als Matthias ihm leicht auf die Schulter tippte und ihn anlächelte.
»Buongiorno.«
»Ciao«, erwiderte Adriano, und seine helle Stimme, deren Klang Matthias schon wieder vergessen hatte, war wie ein leichter Windhauch an einem schwül-heißen Tag. Matthias spürte die Erregung in jeder Faser seines Körpers.
Er gab sich so locker, wie es ihm in dieser Situation möglich war.
»Ich freue mich, dass du wirklich gekommen bist«, meinte er. »Ich heiße übrigens Matthias.«
»Okay. Ich bin Adriano.«
»Wohin gehen wir?« Matthias hoffte, dass Adriano ihn nicht erneut durch Giglio Castello schleppen würde, das er sich schon allein zur Genüge angesehen hatte. Er wollte in die Einsamkeit, wollte allein mit ihm sein und ihn mit keinem anderen Menschen teilen.
Als hätte er seine Gedanken erraten, sagte Adriano prompt: »Ich dachte, ich zeige dir Teile der Insel, wohin sich so schnell kein Tourist verirrt. Allein würdest du diese Stellen nie finden, aber sie sind wildromantisch und atemberaubend schön.«
Matthias’ Herz machte einen Sprung. Es würde schon heute so weit sein, er brauchte keine drei Tage mehr zu warten.
Sie fuhren in Matthias’ Wagen bis
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