Nachtprinzessin
schon wieder auftauchen? Dass letztendlich, mit großer Wahrscheinlichkeit, ja doch immer alles wieder gut wird? Hilft dir das?«
»Ein bisschen.«
»Susanne, trink ein Glas Wein und versuch zu schlafen. Du kannst jetzt nichts machen. Es hat auch wenig Zweck, noch in der Gegend herumzugeistern und sie zu suchen. Hat sie denn vielleicht eine Lieblingsdisco, in die sie immer geht?«
»Nicht dass ich wüsste. Discos interessieren sie nicht so.«
»Tja.« Er machte eine Denkpause. »Guck mal, Melanie ist siebzehn. Vielleicht hat sie sich verliebt. Wahrscheinlich ist sie jetzt gerade im siebten Himmel der ersten Liebe und denkt an alles, nur nicht daran, dass du zu Hause sitzen und dir fürchterliche Sorgen machen könntest. Pass auf, morgen früh ist sie in der Schule, und dann fährst du mittags nach Hause und knöpfst sie dir vor.«
Susanne seufzte. »Danke, Ben.«
»Wenn was ist, ruf mich an. Jederzeit.«
»Is’ klar.« Susanne legte auf, goss sich noch ein Glas Wein ein und begann zu weinen.
Anderthalb Stunden später hörte sie einen Schlüssel in der Tür, und Sekunden danach stand Melanie im Wohnzimmer. Sie runzelte die Stirn, als sie die verweinten Augen ihrer Mutter sah.
»Hei«, sagte sie leise. »Sorry, is’ ’n bisschen später geworden.«
»Wo warst du?«, fragte Susanne scharf.
»Bei einem Freund.«
»Bei einem Freund?«
»Okay, bei meinem Freund.«
»Wie heißt er?«
»Das ist doch egal.«
»Nein, das ist nicht egal!« Susanne war kurz davor zu brüllen.
Melanie stöhnte entnervt auf. »Das hat man nun davon, wenn man nach Hause kommt. Du machst hier schon wieder so ’n Terz. Ich hätte ja auch die Nacht bei ihm bleiben können, wär dir das lieber gewesen?«
Bei so viel Unverschämtheit blieb Susanne die Spucke weg.
»Pass mal auf, mein Fräulein«, explodierte Susanne und hörte sich an wie ihre eigene Mutter, als sie selbst in Melanies Alter gewesen war, was sie grauenvoll fand. »Du bist siebzehn, ich bin für dich verantwortlich, und ich muss wissen, mit wem du dich herumtreibst.«
»Ich sag’s dir aber nicht, da kannst du dich auf den Kopf stellen.«
»Okay, dann läuft es jetzt anders zwischen uns. Du hast mich belogen, ich kann dir nicht mehr vertrauen. Also bleibst du hier. Die Verabredungen mit deinem mysteriösen Freund kannst du knicken.«
Melanie lachte laut auf. »Willst du mich etwa einsperren? Wie denn? Mich mit Handschellen an die Heizung ketten, wenn du nicht da bist? Und du bist ja nie da! Denkst du im Ernst, ich sitze hier rum und warte auf dich? Das kannst du knicken!«
Susanne wusste, dass Melanie recht hatte. Sie konnte sie nicht einsperren, und sie konnte auch nicht halbtags arbeiten. Nicht in ihrem Beruf.
»Pass mal auf, Muttertier.« Melanie goss sich schwungvoll von dem Wein ein, den Susanne übrig gelassen hatte, sodass der Rotwein auf die Dielen schwappte. »In vier Monaten bin ich achtzehn. Und dann stell ich dir meinen Freund vor. Dann kann ich nämlich machen, was ich will.« Sie trank das Glas in einem Zug leer. »Und jetzt geh ich ins Bett. Gute Nacht!«
Damit war sie verschwunden.
33
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Giglio, Juli 2009
Die Sonne stand bleich am wolkenlosen Himmel über dem Hafen. Seit acht Uhr hatte Matthias kein Auge mehr zugemacht. Noch war die Luft frisch und kühl, aber es war klar, dass es ein heißer Tag werden würde.
Matthias saß auf dem Balkon und sah auf die Eingangstür des Restaurants. In zwei Stunden würde er dort stehen, und er hatte keine Ahnung, dass Matthias ihn von hier aus beobachten konnte.
Adriano. Ein Name wie Samt und Musik, wie Strand und Meer, wie Rotwein und Jasmin. Adriano war Capri, Sardinien und Sizilien, war der Geschmack von Knoblauch, Limonen und reifer Melone, war der Duft von staubiger Straße, frischem Schweiß und süßlichem Sperma. Adriano war der frische Quell, die Geranienblüte und die dumpfe Kokosnuss, war wie ein weißes Segelboot am Horizont …
Matthias konnte es nicht mehr erwarten.
Das Meer war ruhig und glatt, keine Welle kräuselte sich, die Segler würden im Hafen bleiben. Hätten wir ein Boot, dachte Matthias, würden wir in einer Bucht dümpeln, uns lieben und anschließend die Angel ins Wasser halten, um einen gewaltigen Fisch zu fangen. Lass uns fliegen, lass uns um die Welt fahren, irgendwohin, bis wir auf einer Insel stranden, du und ich, für immer und ewig.
Er war glücklich, frei und hatte alle Möglichkeiten dieser Welt.
Um zehn Uhr zog er sich sorgfältig an. Sandalen, leichte
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