Nachts unter der steinernen Bruecke
die Kammer, in der seine kranke Frau lag, ein wenig zu erwärmen. Und nun saß er, in seinen vom Begen noch feuchten Mantel gehüllt, in der ungeheizten großen Stube und ließ geduldig die Vorwürfe des kaiserlichen Geheimsekretärs Hanniwald über sich ergehen, der ihm vorhielt, daß die astronomischen Tabellen, denen er nach Wunsch und Willen seiner Majestät den Hauptteil seiner Zeit zu widmen hatte, noch immer nicht fertiggestellt seien.
»Ihr wißt ja«, sagte Kepler, als der Hanniwald seinen Sermon beendet hatte, »wie dunkel, wie verworren und wie überaus hart die Zeiten sind, und mir will's nun einmal auch nicht Butter in den Brei regnen. Ich wollt', ich müßt' die Sache nicht erwähnen, doch ich hoffe entschuldigt zu sein, wenn ich sage, daß ich bei den Kammerbefehlen Seiner Majestät samt den Meinen hätte verhungern müssen, denn ich kann mich nicht wie das Chamäleon vom Wind nähren. So war ich, um die Ehre Seiner Majestät zu schonen, genötigt, statt der Tabellen, mit deren Herstellung mich die Gnade Seiner Majestät betraut hat, Prognostika anzufertigen und nichtswertige Kalender, die mir keinen Ruhm bringen werden. Aber damit habe ich mich und die Meinen ernährt, und es ist dies doch um ein weniges besser, als wenn ich Seiner Majestät alle Tage mit Bitten, mit Klagen und mit Protesten beschwerlich gefallen wäre.«
»Damit hätter Ihr nichts erreicht, wäret auch nur einmal und nicht wieder vor Seiner Majestät Augen gekommen«, meinte der Hanniwald, der dem Johannes Kepler als einem Anhänger der protestantischen Lehre nicht gar gut gesinnt war.
»Mußt' also um so eher darauf bedacht sein«, fuhr Kepler, ohne Verdruß zu zeigen und ohne jede Bitterkeit in seiner Stimme, fort, »mir und den Meinen die geringe Zehrung, deren wir bedürfen, zu beschaffen. Es war nicht leicht, und, um Euch alles zu sagen, — just heute ist solch ein Tag, an dem ich mit meinem Vermögen nicht zweier Groschen mächtig bin. Ich klage es Gott, ich baue und vertraue auf ihn, der alles ändern kann. Aber, in summa: Es ist ein elendes Leben.«
Er schwieg erschöpft, führte ein Tüchlein an seinen Mund und hustete.
»Seine Majestät«, erklärte, ohne auf Keplers Klagen einzugehen, der Hanniwald, »ist auch erzürnt, weil Ihr seine Befehle, was den Streit zwischen Seiner Heiligkeit, dem Papst, und der Republik Venedig anlangt, so gänzlich mißachtet habt.«
»Seine Majestät«, erwiderte Kepler, und noch immer machte ihm der Husten zu schaffen, »hat vor kurzem seinen Kammerdiener, den Philipp Lang, zu mir geschickt, der redete des langen und breiten, ich sollt' ein astrologisches Gutachten über den künftigen Verlauf und den zu erwartenden Ausgang dieses Streites anfertigen. Ich hab' dem Philipp Lang mit schuldigem Respekt gesagt, ich könnt's nicht tun. Denn ein Sternkundiger, der sich vermißt, nicht nur die Bewegungen der Gestirne und ihre künftige Konfiguration, sondern auch das künftige Geschick der Menschen und der Staaten, das Gott allein vorausschaut, zu verkünden, — der sich dessen vermißt, ist ein gemeiner Lügenschmied und nichts anderes.«
»Ich habe also zu verstehen«, stellte der Hanniwald fest, »daß Ihr die Astrologie, welche doch eine von alters her auf uns gekommene und tausendfach erprobte, auch von vielen Fürsten und großen Herrn zu ihrem zeitlichen Vorteil, wie auch zu ihrem ewigen Heil oftmals angewandte Disciplin und Wissenschaft ist, — daß Ihr die Astrologie also zur Gänze verwerft.«
»Nicht zur Gänze! Nein, nicht zur Gänze verwerfe ich sie«, widersprach ihm Johannes Kepler. »Die Einteilung des Himmels in zwölf Häuser, die Herrschaft der Trigone und was es dergleichen mehr gibt an bloßen Einbildungen und Erfindungen kleiner Geister, — das alles verwerfe ich. Aber die Harmonie des Himmels, die lasse ich gelten.«
»Und die Konfiguration der Gestirne? Wie haltet Ihr es damit?« forschte der Hanniwald weiter.
»Auch die lasse ich, wenngleich mit mancherlei Beschränkungen, als einen Faktor von einiger Bedeutung gelten«, erklärte Kepler. »Denn je nachdem die Strahlen der Gestirne bei der Geburt konfiguriert sind, fließt dem Neugeborenen das Leben in dieser oder jener Form zu. Ist die Konfiguration harmonisch, so entsteht eine schöne Form des Gemütes.«
»Die Astrologie, wie Ihr sie darstellt«, bemerkte nachdenklich der Hanniwald, »erscheint mir, wenn ich Euch recht verstanden habe, als eine in ihren Grundlagen sehr veränderte, wenn nicht gar völlig neue
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