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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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an?«
»Nein«, sagte Kepler. »In Sachen des Himmels, — das will heißen, daß ich den Stand der Planeten zur Zeit seiner Geburt erforschen und ihm sodann ein Prognostikon schreiben soll. Er steht, so mein' ich, vor wichtigen Entscheidungen, vielleicht vor einer Wende seines Lebens, und begehrt meinen Rat.«
»Wer aber sich vermißt, das künftige Geschick der Menschen, das Gott allein vorausschaut, zu verkünden, der ist ein gemeiner Lügenschmied und nichts anderes. — Ist es nicht so, Domine Kepler?« spottete der Hanniwald.
»So ist es. Ja, so ist es«, bestätigte Johannes Kepler, und er war in einen Gedanken so verstrickt und versponnen, daß er den Spott nicht merkte. »Denn wer die Dinge bloß und allein aus dem Himmel vorhersagt, der geht auf keinem rechten Grund, und wo es ihm gerät, hat er's dem Glück zu danken. Mir aber gilt, mehr als jegliches Gestirn, des Menschen Natur und Neigung, sein Gemüt und seiner Seele Vernunft. Dies alles aber...«
Er nahm den Brief des Herrn von Waldstein vom Tisch und betrachtete ihn schweigend eine Weile hindurch.
»Dies alles spiegelt sich in seiner Schrift«, sagte er sodann.
»Hör' ich recht?« rief der Hanniwald. »Ihr wollt eines Menschen Natur, seine Neigungen und sein Gemüt aus eben dieses Menschen Schrift erkennen? Domine Kepler ...«
»All dies und noch viel mehr«, unterbrach ihn Kepler. »Wenn ich eines Menschen Schrift eine Zeit hindurch recht aufmerksam betrachte, so gewinnt sie Leben und spricht zu mir, sie enthüllt mir seine geheimsten Gedanken und seine verborgenen Pläne. Ich kenne diesen Menschen sodann von Grund aus und so gut, als hätt' ich in jahrelangem Umgang einen Scheffel Salz mit ihm gegessen.«
Seine letzten Worte gingen im schallenden Gelächter des Hanniwald verloren.
»Das hab' ich nicht gewußt«, rief der Geheimsekretär des Kaisers, »bei meiner Seele, das hab' ich nicht gewußt, daß man sich solch ein Zettelchen nur unter die Nase halten muß, und schon beginnt es, confessiones zu machen. Bei meiner Seele, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr ein Träumer und arger Phantast seid, Domine Kepler, so müßt' ich mich wahrhaftig davor hüten, daß Euch jemals etwas, das ich geschrieben habe, in die Hände kommt. Aber sagt mir doch, - was hat Euch die Schrift dieses Herrn von Waldstein über ihn verraten?«
»Große Dinge, Herr Secretarius, große Dinge!« sagte Johannes Kepler. »Viel Böses, vieles, was mich erschreckt hat, aber, in summa, große Dinge. Er ist gar unruhig, dieser Herr von Waldstein, nach Neuerungen begierig, trachtet nach seltsamen Mitteln, um seine Pläne zu fördern, ist argwöhnisch, zu Zeiten melancholisch, verachtet menschliche Gebote, wird dessenthalben auch oftmals mit seiner Obrigkeit in Konflikte kommen, bis er gelernt hat, zu dissimulieren und seine wahre Meinung zu verbergen. Ist ohne Erbarmen und brüderliche Lieb', — und dennoch: Seine ungewöhnliche Natur, die ihn heut nach Macht und Dignitäten trachten heißt, wird dereinst, wenn sie zur Reife und vollen Entfaltung gelangt, zu hohen und erhabenen Taten fähig sein.«
»Der Tausend! Man wird von diesem Herrn von Waldstein also wohl noch hören«, meinte der Hanniwald. »Bis jetzt hat er freilich nicht viel Redens von sich gemacht. Und das alles habt Ihr aus diesem Zettelchen erraten. Nun, Domine Kepler, ich bin keiner von denen, die gelernt haben, zu dissimulieren und ihre wahre Meinung zu verbergen, und darum sag' ich es Euch frei heraus, daß ich das alles für Spielereien eines gelehrten Kopfes nehme. Euer Diener, Domine Kepler, Euer gehorsamer Diener!«
Johannes Kepler begleitete den Geheimsekretär des Kaisers die Treppe hinunter und schloß die Haustür auf. Es hatte zu schneien begonnen. Es war der erste Schnee, der in diesem Herbst gefallen war.
Als Kepler wiederum in seiner Stube war, dachte er nicht mehr an den Hanniwald und an das Gespräch, das er mit ihm geführt hatte. Er sah eine Schneeflocke, die an dem Ärmel seines Mantels hängengeblieben war, und betrachtete sie durch ein Brennglas. Dann griff er zur Feder und schrieb mit dem Lächeln eines, der seine Meinung wiederum bestätigt gefunden hat, auf ein Blatt Papier die Worte:
»De nive sexangula. - Von dem sonderlichen, vielgestaltigen, aber immer sechswinkeligen Wesen der Schneesternlein.«
    Wahrhaftig, ein unruhiger Kopf, oder irgend etwas verdrießt ihn und macht ihn ungeduldig, sagte Johannes Kepler zu sich selbst, als er sah, daß der junge Offizier, der »in Sachen des Himmels«

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