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Nachts unter der steinernen Bruecke

Nachts unter der steinernen Bruecke

Titel: Nachts unter der steinernen Bruecke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Perutz
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zu ihm gekommen war, nicht eine halbe Minute lang stillsitzen wollt', sondern erst hin- und herrückte, dann aber aufsprang und in der Stube auf und nieder ging.
    »Ihr seid also«, wandte er sich jetzt wiederum an seinen Besucher, »am heutigen Tag dreiundzwanzig Jahre, zwei Monate und sechs Tage alt.«
    »Ja«, sagte der junge Edelmann, und er ging vom Fenster zum Ofen und streckte die Hände aus, um sie zu erwärmen, und dann erst merkte er oder er merkte es auch nicht, daß kein Feuer im Ofen war, »ja, Herr, und wenn Ihr damit sagen wollt, daß andere in diesem Alter schon denkwürdige Taten vollbracht und ihren Namen in das Ehrenbuch der Geschichte eingetragen haben — wenn Ihr das meint, so habt Ihr völlig recht. Ich kann auf nichts anderes verweisen, als daß ich in Padua und in Bologna die Kriegswissenschaft studiert, und daß ich mich hernach unter dem General Basta hab' gegen die Türken brauchen lassen. Hab' einen Bassa oder Beg in seinem Quartier ausgehoben, aber dies ist auch alles, dessen ich mich rühmen kann. Nach der Affaire von Gran hab' ich den Dienst quittiert und bin sodann Es ist nicht zu ertragen!« unterbrach er sich und preßte die Hand an seine Schläfe, als verspüre er dort einen jähen und grausamen Schmerz.
    »Ist Euch nicht wohl, Herr?« fragte Kepler.
»Es ist nicht zu ertragen, das Lärmen unten auf der Gasse«, erklärte der junge Edelmann mit einer Stimme, die jetzt nicht mehr klagend, sondern eher zornig klang. »Laßt Euch, Herr, meine Kühnheit nicht mißfallen, aber ich
    kann es nicht verstehen, daß Ihr es bei solchem Lärm zuwege bringt, in Euern Büchern zu lesen und Eure Gedanken zu sammeln und zu ordnen.«
    »Das Lärmen? Ich mein', es ist recht still jetzt unten in der Gasse«, sagte Kepler. »Der Nagelschmied hat Feierabend gemacht und die Soldaten in der Schenke, die beginnen erst spät am Abend mit ihrem Singen, Fluchen, Poltern und Streiten.«
    »Ich red' auch nicht von den Soldaten, deren Lärmen bin ich gewohnt«, bedeutete ihm der junge Edelmann. »Von dem gottlosen Geschrei der Frösche red' ich, es müssen ihrer unten mehr als hundert beisammen sein, — hört der Herr es nicht?«
    »Ich höre es und höre es nicht«, erwiderte Kepler. »Von den Fällen des Nils wird erzählt, daß ihr Brausen und Toben die umwohnenden Menschen taub gemacht hat. Ich mein' aber, die Sache ist anders: Sie sind des Lärms gewohnt, achten seiner nicht. Und so acht' ich des Geschrei's der Frösche nicht, will's auch nicht gottlos nennen, denn wie alle Kreatur erheben auch sie ihre Stimme zu Gottes Ruhm.«
    »Wenn ich der Herrgott war', wüßt' ich mir einen besseren Ruhm, würde mich nicht von den Fröschen molestieren lassen«, sagte der junge Edelmann verdrossen. »Kann den Lärm nun einmal nicht ertragen, mag keines Tieres Stimme hören, sei es Hund, Katze, Esel oder Geiß, es macht mir Pein. — Nun aber zum Zweck!« fuhr er in verändertem Ton fort. »Hora ruit, es läuft die Stunde, ich will dem Herrn seine Zeit nicht nehmen.«
    »So soll ich Euch die Nativität stellen?« fragte Johannes
    Kepler.
»Nein, für diesmal nicht, ich bin dem Herrn sehr obli
giert, aber nicht der Nativität halber bin ich gekommen«,
erklärte der junge Edelmann. »Ich hab' an den Herrn nur
eine einzige kurze Frage zu richten: Hat morgen in der
Nacht der feuertobende Mars die Herrschaft im Bereich
des Wagens?«
»Ist es weiter nichts? Dann kann ich Euch sogleich mit
Antwort dienen«, meinte Kepler. »Nein, nicht der Mars,
sondern die Venus steht oder herrscht morgen in der Nacht
im Bereich des Wagens. Der Mars aber, den Ihr den Feuertobenden nennt, ist auf dem Weg in den Bereich des Skorpions.«
»Ist es möglich?« rief auf das äußerste betroffen der junge Edelmann. »Die Venus? Nicht der Mars? Die Venus? Es
kann nicht sein. Der Herr muß sich irren.«
»Nein, ich irre mich nicht«, versicherte ihm Kepler. »Die
Venus, nicht der Mars. Ihr könnt' dessen gewiß sein.« Eine Weile stand der junge Edelmann schweigend, in
Gedanken versunken. Dann begann er, mehr zu sich selbst
als zu Johannes Kepler, wiederum zu sprechen.
»So ist die Sache verspielt, ehe sie noch begonnen hat«,
sagte, er. »Und dennoch«, fuhr er nach kurzer Überlegung fort, »muß sie unternommen werden. Errare humanuni,
und dann, es hängt zviel an ihrem Gelingen.«
Wiederum schwieg er. Er sah den Kepler an, als habe er
noch eine Frage auf den Lippen. Doch er sprach sie nicht
aus. Er zuckte die Achseln, und eine Bewegung

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