Nachts wenn der Teufel kam
alles?« fragte der Staatsanwalt. Er stand auf, ging auf die Tür zu. »Sie können ein Gesuch einreichen … Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
Die Antwort auf das Gesuch ließ auf sich warten. Als sie endlich eintraf, wußte kein Mensch, warum es auf einmal positiv entschieden wurde. Niemand konnte sich erklären, warum man den überführten Mörder Bauer plötzlich frei ließ und ihn nur unter Polizeiaufsicht stellte.
Fritz Bauer ist frei. Mit einem Kleiderbündel in der Hand tippelt er die Landstraße entlang. Was werden sie sagen zu Hause in Grüneberg im Pommerschen? Werden sie ihm glauben? Jetzt wenigstens, wo sogar das Gericht so etwas wie Einsicht zeigte?
Die Eltern begrüßen ihn mit Tränen in den Augen. Er will sprechen, beteuern, erklären.
»Ist schon gut, mein Junge«, sagt der Vater. »Wir haben niemals geglaubt, daß du sie ermordet hast.«
»Und die anderen?«
»Über jede Sache wächst einmal Gras. Reiß dich zusammen, wenn sie nicht sehr freundlich sind. Du weißt ja, wie die Menschen sind. Vielleicht ist in ein paar Monaten schon alles vergessen.«
Nichts hat sich im Dorf geändert. Die Häuser, die Straßen, die Bäume, alles ist wie vorher – vor dieser endlosen Zeit der Haft, vor diesen ausweglosen Nächten, vor dieser verzweifelten Hoffnungslosigkeit.
Aber die Gesichter der Menschen, die ihm begegnen, sind voller Hass, voller Verachtung und Abscheu. Am barmherzigsten sind noch die Leute, die wegsehen. Einige spricht Fritz Bauer an, aber sie gehen rasch weiter, ohne sich umzudrehen, ohne zuzuhören. Sie behandeln ihn wie einen Aussätzigen, wie einen Mörder.
Andere spucken ihm ins Gesicht, werfen mit Steinen nach ihm, bedrohen ihn sogar. Sie hassen ihn. Und je mehr Mühe er sich gibt, mit ihnen wieder Kontakt zu bekommen, desto brutaler benehmen sie sich.
Die Zeit heilt gar nichts. Nach Monaten sind die Fronten noch versteinerter.
In dieser Zeit ist Fritz Bauer bei auswärtigen Verwandten zu einer Hochzeit eingeladen. Er wollte nicht hingehen. Er fürchtet die Menschen. Aber der Stiefvater zwingt ihn fast dazu.
»Du mußt unter Leute kommen. Dort sind lauter Freunde von uns. Keiner sagt dir etwas nach.«
Der Entlassene sitzt an der Tafel, den Blick auf die Tischdecke gesenkt. Er schweigt, während die anderen Witze reißen, tanzen oder sich betrinken. Jeder kennt natürlich seine Geschichte. Aber keiner spricht davon. Ihr Schweigen halten sie für taktvoll. Sie sprechen ein paar verbindliche Worte mit ihm und gehen ihm aus dem Weg. Traurige Gesichter liebt man nicht auf einer Hochzeit.
Auf einmal sitzt ein junges Mädchen an seiner Seite.
»Trink doch etwas«, sagt sie zu ihm.
»Ich mag nicht.«
»Versuch's wenigstens einmal.«
Folgsam nimmt er das Glas zur Hand. Zum ersten Mal, seitdem er aus der Haft entlassen wurde. Der Wein macht ihm heiß. Er verträgt nichts mehr. Aber er lockert ihm die Zunge. Zum ersten Mal sieht er auf. Zum ersten Mal kommt in sein blasses, verzerrtes Gesicht etwas Farbe.
»Siehst du, es geht ganz gut.« Das Mädchen lächelt ihm zu. »Ich weiß alles von dir«, sagt Anna dann, »und ich weiß, daß du nichts getan hast.«
»Woher weißt du das?«
»So etwas fühlt man doch. Meinst du, wir hätten dich sonst hierher eingeladen?«
Nach einer halben Stunde geschieht so etwas wie ein Wunder. Fritz Bauer steht auf und tanzt mit Anna. Die Verwandten bemerken es, lächeln sich zu. Der Bann ist gebrochen. Die Haftpsychose des Fritz Bauer ist überwunden.
Auch nach der Hochzeitsfeier verliert Fritz die Anna nicht aus den Augen. Sie treffen öfter zusammen. Er liebt sie und würde sie gern heiraten, aber er wagt nicht, ihr das zu sagen. Er ahnt, was ihr bevorstehen würde, und davor möchte er sie bewahren.
Es gäbe nur einen Ausweg: in ein anderes Dorf ziehen. Aber das will er nicht. Das sähe aus wie ein Schuldgeständnis. Außerdem steht er unter Polizeiaufsicht und muß sich zuerst jeden Tag, später jede Woche melden. Und dann wird er einmal die Gastwirtschaft erben, zu der eine kleine Landwirtschaft gehört. Er hängt an dem Besitz. Es ist sein gutes Recht.
Dann sagt ihm Anna eines Tages: »Wir werden heiraten.«
»Das geht nicht«, antwortet er, »die machen dich genauso fertig wie mich.«
»Zu zweit kann man das leichter ertragen«, erwidert sie.
Tage, Wochen, Monate kämpft er mit sich.
Der Lebenswille siegt.
Die Hochzeit findet auswärts statt. Am Abend hält Anna Einzug in Grüneberg. Der Stiefvater übergibt die Gastwirtschaft. Das
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