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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Seitenwänden der Bibliothek, was machte das denn schon aus?
    Er wußte es nicht aber er wußte, es hatte eine fast magische Wirkung auf ihn. Sein untypisches Zaudern f iel von ihm ab, und er schritt wieder weiter. Er ging die vier Steinstufen hinauf und verweilte einen Moment. Irgendwie schien das Gebäude verlassen zu sein. Er streckte die Hand nach dem Türgriff aus und dachte: Ich wette, es ist abgeschlossen. Ich wette, sie haben Freitag nachmittags geschlossen. Dieser Gedanke hatte etwas seltsam Beruhigendes.
    Aber die altmodische Klinke gab unter dem Druck seines Daumens nach, die schwere Tür schwang lautlos nach innen. Sam betrat ein kleines Foyer mit Marmorbod en ein Schachbrettmuster schwarzer und weißer Quadrate. In der Mitte dieses Vorzimmers stand eine Staffelei; die Botschaft bestand aus einem einzigen Wort in sehr großen Buchstaben. RUHE! lautete sie. Nicht SCHWEIGEN IST GOLD oder BITTE STILL SEIN sondern nur dies eine starrende, böse Wort: RUHE!
    »Auf jeden Fall«, sagte Sam. Er murmelte die Worte nur, aber die Akustik des Saals war ausgezeichnet; sein leises Murmeln wurde zu einem griesgrämigen Grollen verstärkt, bei dem er sich unwill
    kürlich duckte. Es schien wahrhaftig von der hohen Decke zu ihm zurückgeworfen zu werden. Im Augenblick war ihm zumute, als wäre er wieder in der vierten Klasse und würde von Mrs. Glasters zur Ordnung gerufen werden, weil er sich genau im falschen Augenblick danebenbenommen hatte. Er sah sich unbehaglich um und rechnete fast damit, eine ungehaltene Bibliothekarin würde aus dem Hauptsaal gestürmt kommen, um festzustellen, wer es gewagt hatte, die Stille zu entweihen
    Um Gottes willen, hör auf damit. Du bist vierzig Jahre ah. Die vierte Klasse ist schon lange her, Kumpel
    Nur schien sie noch nicht so lange her zu sein. Hier drinnen nicht. Hier drinnen schien die vierte Klasse zum Greifen nah zu sein.
    Er ging links an der Staffelei vorbei über den Marmorboden und verlagerte das Gewicht dabei unbewußt auf die Schuhspitzen, da
    mit die Absätze nicht klackten, dann betrat er den Hauptsaal der Bibliothek von Junction City.
    Eine Anzahl Glaskugeln hingen von der Decke (die mindestens sechs Meter höher war als die Decke des Foyers), abe r keine war eingeschaltet. Zwei große, schräge Oberlichter spendeten Helligkeit. An einem sonnigen Tag hätten sie ausgereicht, das Zimmer zu erhellen; vielleicht hätten sie es sogar fröhlich und anheimelnd ge
    macht. Aber dieser Freitag war bewölkt und v erhangen, das Licht trüb. Düstere Schattengeflechte füllten die Ecken des Saals.
    Sam Peebles empfand ein Gefühl, als würde etwas nicht stimmen.
    Es war, als wäre er nicht nur durch eine Tür und ein Foyer gegangen, sondern als hätte er eine andere Welt bet reten, die keinerlei Ähnlichkeit mit der Kleinstadt in lowa hatte, die er manchmal mochte, manchmal haßte, größtenteils aber einfach als naturgegeben hinnahm. Hier drinnen schien die Luft dicker als normale Luft zu sein, und sie schien das Licht auch nic ht so gut zu leiten wie normale Luft. Die Stille war so dick wie eine Wolldecke. Und so kalt wie Schnee.
    Die Bibliothek war verlassen.
    Rings um ihn herum verliefen Bücherregale. Als er zu den Oberlichtern mit dem Gitter ihrer Drahtverstärkung aufsah, wur de Sam ein wenig schwindlig und er sah eine flüchtige Illusion: Ihm war, als wäre er verkehrt herum aufgehängt worden, als hinge er die Füße nach oben über einer tiefen, von Büchern gesäumten Grube.
    Hier und da lehnten Leitern an den Wänden, die auf ei ner Schiene montiert waren und auf Gummirädern über den Boden rollten. Zwei Holzblöcke unterbrachen das Meer offenen Raums zwischen der Stelle, wo er stand, und dem Ausgabeschalter am anderen Ende des großen, hohen Saals. Bei einem handelte es sich um ein langes Zeitschriftenregal aus Eiche. Zeitschriften hingen in durchsichtigen Schutzhüllen aus Plastik an Holzhaken. Sie glichen den Häuten seltsamer Tiere, die in diesem stillen Raum zum Trocknen aufgehängt worden waren. Ein über dem Regal angebrachtes Schild befahl:

    ZEITSCHRIFTEN WIEDER RICHTIG EINORDNEN!
    Links vom Zeitschriftenregal befand sich eines mit brandneuen Romanen und Sachbüchern. Ein Schild über diesem Regal verkündete, daß man sie nur maximal sieben Tage ausleihen konnte.
    Sam ging den bre iten Gang zwischen dem Zeitschriften und dem Neuheitenregal entlang, und seine Absätze klackten und hallten, obwohl er sich so sehr bemühte, leise zu sein. Er wünschte sich, er

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