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Nachts

Nachts

Titel: Nachts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wäre seinem ersten Impuls gefolgt, einfach umzukehren und wieder ins Büro zu gehen. Es war unheimlich hier. Obwohl eine kleine, abgeschirmte Mikrofilmkamera auf dem Schreibtisch summte, war niemand nicht Mann noch Frau da, der sie bediente. Auf einer kleinen Plakette auf dem Schreibtisch stand A. LORTZ
    aber es war keine Spur von A. Lortz oder sonst jemand zu sehen.
    Ist wahrscheinlich auf dem Klo und blättert die neueste Ausgabe des Library Journal durch.
    Sam verspürte den irren Impuls, den Mund aufzumachen und zu schreien: »Klappt alles, A. Lortz?« Er verging rasch wieder. Die öffentliche Bibliothek von Junction City förderte Übermut nicht gerade.
    Plötzlich fiel Sam ein kurzer Vers aus seiner Kindheit wieder ein.
    Laßt Lachen und das Blödeln sein, kommt zum Quäkertreffen rein. Läßt du deine Zähne sehen, mußt du Strafe zahlen gehen.
    Läßt man hier drinnen die Zähne sehen, muß man dann seine Strafe bei A. Lortz bezahlen?fragte er sich. Er drehte sich noch einmal um, ließ seine Nervenenden die mißbilligende Eigenheit der Stille spüren und dachte, daß man ein Buch darüber schreiben könnte.
    Sam, der längst nicht mehr daran interessiert war, ein Witzbuch oder Best Loved Poems of the American People zu bekommen, sondern sich unwillkürlich von der losgelösten, verträumten Atmosphäre der Bibliothek faszinieren ließ, ging zu einer Tür rechts vom Regal mit den SiebenTageBüchern. Auf einem Schild über der Tür stand, daß es sich hier um die Kinderbibliothek handelte. Hatte er die Kinderbibliothek besucht, als er in St. Louis aufgewachsen war?
    Er glaubte es, aber diese Erinnerungen waren fern, verschwommen und schwer zu fassen. Dennoch hatte er ein seltsam gequältes Gefühl, als er sich der Tür der Kinderbibliothek näherte. Es war fast, als würde er heimkehren.
    Die Tür war geschlossen. Ein Bild von Rotkäppchen war darauf zu sehen, die den Wolf in Großmutters Bett ansah. Der Wolf trug Großmutters Nachthemd und Nachthaube. Er fauchte. Geifer tropfte zwischen seinen entblößten Zähnen hervor. Ein Ausdruck fast erlesenen Schreckens verzerrte Rotkäppchens Gesicht, und das Plakat schien nicht nur zu verkünden, sondern festzuschreiben, daß das glückliche Ende dieser Geschichte wie aller Märchen
    eine bequeme Lüge war. Eltern glaubten diesen Schmu vielleicht, sagte das gräßlich erschrockene Gesicht von Rotkäppchen, aber die Kleinen wußten es besser, oder nicht?
    Hübsch, dachte Sam. Mit so einem Plakat an der Tür kommen bestimmt viele Kinder in die Kinderbibliothek. Ich wette, das gefällt den Kleinen ganz besonders.
    Er machte die Tür auf und streckte den Kopf hinein.
    Das Gefühl des Unbehagens fiel von ihm ab; er war auf der Stelle verzaubert. Das Plakat an der Tür war selbstverständlich vollkommen falsch, aber was hinter der Tür lag, schien ganz richtig zu sein.
    Selbstverständlich hatte er als Kind die Bibliothek benützt; ein Blick in diese maßstabgetreue Welt reichte aus, die Erinnerungen wieder aufzufrischen. Sein Vater war jung gestorben. Sam war ein Einzelkind gewesen und von einer arbeitenden Mutter großgezogen worden, die er selten sah, höchstens an Sonn und Feiertagen.
    Wenn er das Geld für einen Kinobesuch nach der Schule nicht aufbringen konnte und das war oft , mußte die Bibliothek genügen, und der Raum, den er jetzt vor sich sah, brachte ihm diese Tage inmitten einer plötzlichen Woge der Nostalgie zurück, die süß und schmerzvoll und auf eine seltsame Weise furchterregend war.
    Es war eine kleine Welt gewesen, und dies war eine kleine Welt; es war eine hell erleuchtete Welt gewesen, selbst an den grimmigsten, regnerischsten Tagen, und das war auch diese hier. In diesem Raum gab es keine hängenden Glaskugeln; hier hingen Neonröhren hinter Ornamentglasscheiben an der schwebenden Decke, die alle Schatten vertrieben, und alle waren eingeschaltet. Die Tischplatten waren nur sechzig Zentimeter vom Boden entfernt; die Stühle waren noch niedriger. In dieser Welt wären Erwachsene Eindringlinge, nervöse Fremde. Sie würden die Tische auf den Knien balancieren, wenn sie versuchen würden, dort Platz zu nehmen, und wahrscheinlich würden sie sich die Schädel einschlagen, wenn sie versuchten, aus dem Trinkbrunnen an der hinteren Wand zu trinken.
    Hier erstreckten sich die Regale nicht tückisch in die Höhe, so daß einem schwindlig wurde, wenn man zu lange darauf hinaufsah; die Decke war so tief, daß es gemütlich wirkte, aber nicht so tief, daß

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