Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
lautete Eve Tobin, 16. Juni 1965. Der eingeklammerte Zweitname fehlte.
    Das dritte Buch war leer.
    Während Burt auf der Kanzel stand, dachte er darüber nach.
    Irgend etwas war 1964 geschehen. Irgend etwas, das mit Religion und dem Mais … und mit Kindern zu tun hatte.
    Lieber Gott, ‘wir erbitten deinen Segen für die Ernte. Gelobt sei Jesus Christus, Amen.
    Und das hoch erhobene Messer, mit dem das Lamm geopfert werden sollte - aber war es überhaupt ein Lamm gewesen?
    Vielleicht war eine religiöse Zwangsvorstellung an ihrem Verschwinden schuld. Allein, vollkommen allein, von der Außenwelt abgeschnitten und inmitten mehrerer 100 Quadratkilometer raschelnder, geheimnisvoller Maisfelder. Allein unter dem endlosen blauen Himmel. Allein unter dem aufmerksamen Auge Gottes, der jetzt zu einem fremdartigen, grünen Gott geworden war, ein Gott des Mais, alt, fremdartig und hungrig.
    Er, der hinter den Reihen wandelt.
    Burt überlief ein kalter Schauder.
    Vicky, laß mich dir eine Geschichte erzählen. Sie handelt von Amos Deigan, der als Richard Deigan am 4. September 1945 geboren wurde. Er nahm den Namen Amos im Jahre 1964 an, ein guter, alttestamentarischer Name, Amos, einer der unbedeutenden Propheten. Nun, Vicky, dann geschah es - lach nicht -, daß Dick Deigan und seine Freunde - Büly Renfrew, George Kirk, Roberta Wells und Eddie Hollis - einem religiösen Wahn zum Opfer fielen und ihre Eltern töteten. Alle. Ist das nicht zum Schreien? Erschossen sie in ihren Betten, erstachen sie in ihren Badezimmern, vergifteten ihr Abendessen, hingen sie auf, und entleibten sie und was weiß ich noch.
    Warum? Der Mais. Vielleicht lag er im Sterben. Vielleicht hatten sie die Vorstellung, daß der Mais starb, weil es zuviel Sünde gab. Nicht genügend Opfer. Sie werden es im Korn getan haben, inmitten der Reihen.
    Und irgendwie, Vicky, bin ich mir dessen sehr sicher, irgendwie beschlossen sie dann, daß niemand älter als neunzehn werden sollte. Richard »Amos« Deigan, der Held unserer kleinen Geschichte, hatte am 4. September 1964 seinen 19. Geburtstag - dieses Datum nannte das Buch. Ich glaube, daß sie ihn getötet haben. Ihn dem Mais geopfert haben. Ist das nicht eine blödsinnige Geschichte?
    Und was ist mit Rachel Stigman, die bis 1964 Donna Stigman hieß? Sie wurde am 21. Juni neunzehn, genau vor einem Monat. Moses Richardson wurde am 29. Juli geboren - in drei Tagen wird er neunzehn. Kannst du -dir vorstellen, was mit dem guten Moses am 29. passiert?
    Ich mir schon.
    Burt befeuchtete seine trockenen Lippen.
    Da ist noch etwas anderes, Vicky. Sieh dir das an, Da haben wir Job Gilman (Clayton), der am 6. September 1964 geboren wurde. Keine anderen Geburten mehr bis zum 16. Juni 1965.
    Eine Lücke von zehn Monaten. Weißt du, was ich glaube? Sie haben alle Eltern getötet, selbst die Schwangeren, das ist, was ich glaube. Und eine von ihnen wurde im Oktober 1964 schwanger und gebar Eva. Ein sechzehn- oder siebzehnjähriges Mädchen. Eva. Die erste Frau.
    Aufgeregt blätterte er im Buch zurück und fand den Eintrag Eva Tobin. Darunter: »Adam Greenlaw, 11. Juli 1965«.
    Bis jetzt müssen es elf sein, dachte er, und es kroch eiskalt seinen Rücken hoch. Und vielleicht waren sie dort draußen.
    Irgendwo.
    Aber wie konnte das so lange geheimgehalten werden?
    Warum waren sie bis jetzt noch nicht entdeckt worden?
    Wie, wenn es nicht von Gott selbst gutgeheißen würde?
    »O Jesus«, sagte Burt in die Stille hinein, und dann begann die Hupe des T-Bird zu röhren, ein einziger gequälter Aufschrei.
    Burt sprang von der Kanzel hinunter und rannte das Mittelschiff entlang. Er schleuderte die Außentüren der Vorhalle zur Seite, und die drückende Sommerhitze schlug ihm entgegen.
    Vicky saß kerzengerade hinter dem Lenkrad, mit beiden Händen hielt sie den Hupenring umklammert, ihr Kopf schwang wild hin und her. Die Kinder kamen aus allen Richtungen.
    Einige von ihnen lachten fröhlich. Sie hatten Messer, Steine, Rohrstücke, Kiesel und Hämmer dabei. Ein Mädchen, das vielleicht acht Jahre alt war und schönes, langes blondes Haar besaß, hielt einen Eispickel in der Hand. Ländliche Waffen.
    Kein Gewehr. Burt fühlte das wilde Verlangen aufzuschreien: Wer von euch ist Adam, und wer von euch ist Eva? Wer sind die Mütter? Wer sind die Töchter? Väter? Söhne?
    Sage an, bist du so klug?
    Sie kamen aus den Seitenstraßen, von der Festwiese, durch ein Tor im Maschenzaun, der den Schulhof einen Block weiter westlich eingrenzte.

Weitere Kostenlose Bücher