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Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind

Titel: Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Faust ballte, konnte er zwar nur schwach zupacken, aber wenigstens funktionierte es überhaupt.
    »Verfluchtes Miststück«, murmelte Lewis.
    Hart ärgerte sich nicht sonderlich; er war vor allem erleichtert. Statt am Arm hätte es ihn beinahe am Kopf erwischt.
    Er wusste noch, wie er in der Küche gestanden, sich durch die Strumpfmaske an der Wange gekratzt, dann den Kopf gehoben und vor sich eine Bewegung gesehen hatte. Wie sich jedoch herausstellte, handelte es sich um das Spiegelbild der jungen Frau, die lautlos von hinten näher gekommen war und soeben die Waffe hob.
    Hart sprang im selben Moment beiseite, in dem sie schoss, und wirbelte herum, ohne den Treffer auch nur zu merken. Als er das Feuer aus seiner Glock erwiderte, floh die Frau zur Tür hinaus. Lewis, der neben ihm stand - und als Nächster gestorben wäre -, fuhr ebenfalls herum und ließ eine Tüte Snacks fallen, die er aus dem Kühlschrank geklaut hatte.

    Dann hörten sie es draußen mehrmals laut knallen, und Hart hatte gewusst, dass die Frau die Reifen des Ford und des Mercedes zerschoss, damit sie nicht verfolgt werden konnte.
    »Wir waren zu nachlässig«, stellte Hart nun unheilvoll fest.
    Lewis sah ihn an, als sei das als Vorwurf gemeint gewesen - und das war es auch: Der hagere Mann hätte zu dem fraglichen Zeitpunkt im Wohnzimmer sein sollen, nicht in der Küche. Aber Hart ritt nicht weiter darauf herum.
    »Hast du sie getroffen?«, fragte Lewis.
    »Nein.« Hart fühlte sich benommen. Er drückte sich die Seite der Glock an die Stirn. Die Kühle tat gut.
    »Wer, zum Teufel, ist sie?«, wiederholte Lewis.
    Eine Antwort darauf fand sich in der Handtasche, die sie im Wohnzimmer entdeckten, ein kleines Ding mit Make-up, Bargeld und Kreditkarten darin.
    »Michelle«, sagte Hart mit Blick auf eine Visa-Karte. Er hob den Kopf. »Sie heißt Michelle.«
    Er war gerade von einer Michelle angeschossen worden.
    Mit verkniffener Miene ging Hart quer über den abgenutzten und nachgedunkelten gelbbraunen Teppich und schaltete das Licht im Wohnzimmer aus. Dann spähte er vorsichtig zur Vordertür hinaus. Von der Frau keine Spur. Lewis wollte in die Küche gehen. »Ich mach auch da das Licht aus.«
    »Nein, lass es an. Da sind zu viele Fenster und keine Vorhänge. Sie könnte dich mühelos von draußen sehen.«
    »Mach dir nicht in die Hose. Die Schlampe ist längst auf und davon.«
    Hart blickte grimmig auf seinen Unterarm, als wolle er fragen: Möchtest du das Risiko wirklich eingehen? Lewis fügte sich. Sie schauten ein weiteres Mal durch die vorderen Fenster, sahen aber nichts als dichtes Unterholz. Keine Lichter, keine Schemen, die durch die Abenddämmerung huschten. Hart hörte Frösche quaken. Am klaren Himmel schwirrten einige Fledermäuse umher.

    »Ich wünschte, ich hätte diesen Seifentrick schon früher gekannt. Der ist echt gut«, sagte Lewis. »Mein Bruder und ich sind mal in Green Bay gewesen. Wir haben da nichts Besonderes gemacht, bloß rumgehangen, du weißt schon. Als ich am Bahndamm pinkeln gehen wollte, ist dieses Arschloch mit einem Teppichmesser auf mich losgegangen. Hat mich von hinten erwischt. Irgendein beschissener Penner … Der Schnitt ging bis auf den Knochen. Ich hab geblutet wie ein abgestochenes Schwein.«
    Und was will er mir damit sagen?, dachte Hart und versuchte, die Stimme des Mannes auszublenden.
    »Oh, dem Kerl hab ich’s aber gegeben, Hart. Dass ich geblutet hab, war egal. Er hat an dem Tag gelernt, was leiden heißt. Die Lektion wird er nie vergessen, das kannst du mir glauben.«
    Hart drückte die Wunde und achtete dann nicht weiter auf die Schmerzen. Sie waren zwar noch da, ließen sich aber in den Hintergrund drängen. Er zog die schwarze Pistole und trat geduckt nach draußen. Kein Schuss. Kein Rascheln im Gebüsch. Lewis kam hinterher. »Ich sag’s doch, die Alte ist weg. Mittlerweile dürfte sie ihren Hintern halb bis zum Highway geschleift haben.«
    Beim Anblick der Fahrzeuge verzog Hart das Gesicht. »Sieh dir das an.« Sowohl der Mercedes der Feldmans als auch der Ford, den Hart früher an jenem Tag gestohlen hatte, hatten zwei platte Reifen. Die Felgen waren unterschiedlich groß; die Ersatzräder würden demnach nicht an das jeweils andere Auto passen.
    »Scheiße«, sagte Lewis. »Tja, dann sollten wir mal lieber losmarschieren, meinst du nicht auch?«
    Hart ließ den Blick über den tiefen, inzwischen ziemlich düsteren Wald schweifen. Er konnte sich kein besseres Versteck auf der Welt vorstellen.

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