Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
Sie schon.«
»Feldman hat zurückgerufen. Der Ehemann.«
»Zurückgerufen?«
»Die Funkzentrale hat ihn zu mir durchgestellt. Feldman hat gesagt, er habe versehentlich die Kurzwahltaste mit der Notrufnummer gedrückt, es gleich darauf bemerkt und die Verbindung wieder getrennt. Er hat gedacht, der Anruf habe uns gar nicht erst erreicht.«
»Ach, Tom.« Sie verzog das Gesicht und schaute zu einigen Drosseln, die neben einem roten Liliengewächs am Boden herumpickten.
»Ich weiß, ich weiß.«
»Ich bin fast schon da. Ich kann das Haus sehen.«
»Da haben Sie sich aber beeilt.«
»Nun, es war immerhin ein Notruf, wissen Sie noch?«
»Ich gebe Ihnen einen ganzen Tag frei.«
Und wann würde sie den je nehmen können? Sie atmete tief durch. »Zumindest spendieren Sie mir heute ein Abendessen. Und nicht von Burger King. Ich möchte Chili’s oder Bennigan’s.«
»Sehr gern sogar. Lassen Sie es sich schmecken.«
»Gute Nacht, Tom.«
Brynn rief Graham an, landete aber nach dem vierten Klingeln bei seiner Mailbox. Sie hinterließ die Nachricht, es habe sich um einen Fehlalarm gehandelt. Unterbrach die Verbindung. Versuchte es erneut. Diesmal meldete die Mailbox sich sofort. Brynn hinterließ keine weitere Nachricht. War er doch unterwegs?
Und deine Pokerrunde?
Die läuft nicht weg …
Trotz ihres unnötigen Ausflugs war Brynn nicht allzu wütend. Sie würde nächste Woche einen Fortgeschrittenenkurs über das Vorgehen in Fällen häuslicher Gewalt belegen und
könnte das heutige Abendessen dafür nutzen, einen Blick in die Kursunterlagen zu werfen, die sie gerade erhalten hatte. Zu Hause wäre sie erst kurz vor dem Einschlafen dazugekommen.
Außerdem musste sie zugeben, dass ein Abend ohne Anna - und vor allem ohne Fahrt zu Rita - ihr ganz recht war. Es war seltsam, Anna nach so vielen Jahren beidseitiger Unabhängigkeit wieder um sich zu haben. Gefühle aus früheren Zeiten wurden wach. Wie an dem Abend vor ein paar Wochen, als Brynn spät von der Arbeit nach Hause gekommen war und ihre Mutter ihr einen frostigen Blick zugeworfen hatte; die angespannte Stimmung war die gleiche gewesen wie in Brynns Kindertagen, wenn sie beim Reiten die Zeit vergessen und sich verspätet hatte. Kein Ärger, keine Strafpredigt. Nur ein einfacher geplagter Blick, verbunden mit einem freudlosen Lächeln.
Sie hatten sich nie gestritten. Anna war nicht leicht reizbar oder launisch. Und sie war eine perfekte Großmutter, was Brynn ihr hoch anrechnete. Aber Mutter und Tochter waren noch nie eng befreundet gewesen, und während Brynns erster Ehe hatte Anna in ihrem Leben kaum eine Rolle gespielt. Erst nach Joeys Geburt tauchte sie wieder auf.
Dann kamen Brynns Scheidung und Graham, den Anna offenbar akzeptierte, woraufhin die Kontakte sich häuften. Vor ungefähr einem Jahr hatte Brynn sich gefragt, ob sie und ihre Mutter wohl endlich ein herzlicheres Verhältnis zueinander aufbauen würden. Aber das war nicht geschehen, denn sie waren im Grunde noch dieselben Menschen wie zwanzig Jahre zuvor, und im Gegensatz zu ihren Geschwistern hatte Brynn nie viel mit ihrer Mutter gemeinsam gehabt. Brynn war stets gern geritten, vorangeprescht, hatte sich in Eau Claire eingeengt gefühlt. Anna hatte sich mit langweiligen Jobs begnügt - meistens halbtags im Büro eines Immobilienmaklers - und ihre drei Kinder großgezogen. Ihre Abende waren immer gleich gewesen: Stricken, Plaudern, Fernsehen.
Was kein Problem darstellte, wenn man nicht unter einem Dach wohnte. Aber seit Anna nach der Operation zu ihr gezogen war, fühlte Brynn sich häufig in ihre Kindheit zurückversetzt.
O ja, sie freute sich darauf, heute Abend mal ein paar Stunden für sich zu haben.
Und im Bennigan’s auf fremde Kosten essen zu können. Was soll’s, sie würde sich sogar ein Glas Wein gönnen.
Brynn schaltete die Scheinwerfer des Wagens ein und wollte wenden. Dann hielt sie inne. Die nächste Tankstelle stand in Clausen, gute zwanzig Minuten von hier entfernt.
Die Feldmans trugen die Schuld an diesem Durcheinander; dafür konnten sie Brynn doch eigentlich mal ihr Badezimmer benutzen lassen. Sie fuhr los und bog in die Auffahrt ein. Es interessierte sie, wie groß nach Ansicht von Yahoo wohl zwei Football-Felder waren.
7
Lewis hockte neben dem gestohlenen Ford, mit dem sie aus Milwaukee hergekommen waren, und saugte sich das Blut von der Schramme am Knöchel, die er sich bei dem Versuch zugezogen hatte, die platten Reifen zu reparieren. Er betrachtete die Wunde
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