Nachtschrei - Deaver, J: Nachtschrei - The Bodies left behind
und spuckte aus.
Großartig, dachte Hart. Fingerabdrücke und DNS.
Und ich hab mir diesen Kerl auch noch freiwillig ausgesucht.
»Gibt’s was Neues von der Frau?«, fragte der hagere Mann und beugte sich über eines der Räder.
Unter Harts Schritten knirschte das Laub. Auf der Suche nach Michelle hatte er das Grundstück so leise wie möglich
umrundet, war sich dabei aber wie eine lebendige Zielscheibe vorgekommen. Vielleicht war die Frau weg. Vielleicht auch nicht.
»Der Boden ist ziemlich schlammig. Ich habe ein paar Fußspuren gefunden, wahrscheinlich von ihr. Sie führen erst in Richtung der Landstraße, scheinen dann aber dorthin abzubiegen.« Er wies auf den steilen, dicht bewaldeten Hügel hinter dem Haus. »Ich schätze, sie versteckt sich da irgendwo. Hast du was gehört?«
»Nein. Aber es macht mich verrückt. Ich schaue ständig über die Schulter. Dafür wird die Schlampe büßen. Wenn wir zurück sind, spür ich sie auf. Es ist mir egal, wer sie ist und wo sie wohnt. Sie muss dran glauben. Sie hat sich mit dem Falschen angelegt.«
Ich bin derjenige, der angeschossen wurde, dachte Hart und ließ den Blick erneut über den Wald schweifen. »Wir hätten beinahe ein Problem bekommen.«
»Was du nicht sagst«, spottete Lewis.
»Ich habe sein Telefon überprüft. Hab es eingeschaltet und überprüft.«
»Sein …?«
»Das von dem Mann.« Er nickte mit Blick auf das Haus. »Weißt du noch? Du hast es ihm abgenommen.«
Lewis wirkte sogleich verlegen. Geschah ihm recht.
»Er hat es geschafft, den Notruf zu wählen. Und jemanden dort zu erreichen«, sagte Hart.
»Das Gespräch hat doch höchstens eine Sekunde gedauert.«
»Drei Sekunden. Aber das hat gereicht.«
»Mist.« Lewis stand auf und streckte sich.
»Wir haben wohl noch mal Glück gehabt. Ich habe dort angerufen und behauptet, ich sei er und der Notruf sei aus Versehen passiert. Der Sheriff sagte, sie hätten bereits einen Wagen geschickt, um der Sache nachzugehen. Er wollte die Leute zurückbeordern.«
»Na, das wäre ja eine schöne Scheiße geworden. Er hat dir geglaubt?«
»Das nehme ich an.«
»Du nimmst es bloß an ?« Er klang schon wieder herausfordernder.
Hart ignorierte die Frage und deutete auf den Ford. »Kriegst du das hin?«
»Nein«, lautete die prompte Antwort.
Hart musterte den Mann, sein höhnisches Grinsen, das großspurige Auftreten. Nachdem Hart diesen Auftrag angenommen hatte, war er auf die Suche nach einem Partner gegangen. Eine Anfrage bei seinen Kontaktleuten in Milwaukee hatte Lewis’ Namen erbracht; ein persönliches Treffen schloss sich an. Der jüngere Mann schien geeignet zu sein, und die Überprüfung seines Vorlebens förderte nichts Beunruhigendes zutage - einige Festnahmen wegen kleinerer Drogenvergehen und Diebstähle, ein paar Anklagen. Der dürre Kerl mit dem großen Ohrstecker und dem rot-blauen Halsschmuck würde mit dem vermeintlichen Routinejob gut klarkommen. Doch nun sah die Angelegenheit nicht mehr so rosig aus. Hart war verwundet, sie hatten keinen Wagen, und irgendwo in der Nähe hielt sich eine bewaffnete Gegnerin auf. Plötzlich war es überaus wichtig, Compton Lewis’ Gewohnheiten, Charakter und Fähigkeiten zu kennen.
Das Ergebnis der Einschätzung fiel nicht sonderlich ermutigend aus.
Hart musste behutsam vorgehen und versuchte, mit möglichst neutraler Stimme ein wenig Schadensbegrenzung zu betreiben. »Du hast ja die Handschuhe ausgezogen.«
Lewis leckte sich noch einmal das Blut ab. »Ich habe den Radschlüssel nicht richtig zu fassen bekommen. Dieser miese Schrotthaufen aus Detroit.«
»Wisch lieber alles ab.« Ein Nicken in Richtung des Werkzeugs.
Lewis lachte, als hätte Hart gefragt: »Mann, wusstest du schon, dass Gras grün ist?«
Da stand ihm offenbar noch einiges bevor.
Was für ein Abend …
»Eines kannst du mir glauben, Kumpel«, murmelte Lewis. »Dieses Reparaturspray nützt einen Scheißdreck, wenn ein Reifen ein verfluchtes Einschussloch in der Seitenwand hat.«
Hart sah die Sprühdose in einiger Entfernung liegen, wohin Lewis sie vermutlich vor lauter Wut geworfen hatte. Nicht ohne zuvor auch darauf seine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Hart musste blinzeln. Seine Augen tränten vor Schmerz. Er war nun schon vierzehn Jahre in einer Branche tätig, in der man oft mit Schusswaffen zu tun bekam, war aber noch nie angeschossen worden - und hatte selbst auch nur selten von der Waffe Gebrauch gemacht; es sei denn sein Auftrag hatte es verlangt.
»Was ist
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