Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
seine Umarmung. Besser spät als nie hatte ich Anyans Worte verstanden. Ryu mochte mich, und er nahm seinen Job ernst. Wenn ich ihm sagen würde, was Jarl getan hatte, würde er ermitteln. »Und momentan, ohne Beweise außer der Aussage eines Halblings wie mir, wird Jarl Ryu zerquetschen wie einen Käfer«, dachte ich und wischte meine Triefnase an seinem Hemd ab. Meine Nase lief, und er war sowieso schon schmutzig. Okay, es war nicht gerade die feine Art, aber er hielt mich so fest, dass ich meine Arme nicht bewegen konnte.
»Hast du gerade deine Nase an mir abgeputzt?«, fragte er. In seiner Stimme schwangen eine Vielzahl verschiedener Gefühle mit, aber »Das glaub ich jetzt nicht« stand ganz oben auf der Liste.
»Vielleicht«, murmelte ich zögerlich und schielte zu ihm hoch.
»Oh, Jane«, sagte er und zauberte ein Taschentuch hervor. Mit dem er erst sein verschmiertes Hemd und dann meine Nase abwischte. »Was soll ich bloß mit dir machen?«
»Mich nach Hause bringen?«, schlug ich hoffnungsvoll vor.
»Natürlich«, sagte er, doch seine Augen behielten ihren traurigen Ausdruck, »das habe ich dir ja versprochen, oder? Aber jetzt bringe ich dich erst einmal ins Bett.« Nachdem er mir zur Sicherheit noch einmal die Nase abgewischt hatte, hob er mich hoch und trug mich hinein. Er drückte mich fest an seine Brust und übersäte mein Gesicht mit Schmetterlingsküssen. Er humpelte noch immer leicht, aber ich dachte mir: »Wenn er mein Gewicht aushält, dann lasse ich ihn mal.« Außerdem war ich selbst nicht gerade in der besten körperlichen Verfassung.
»Ich hatte solche Angst, als ich dich nirgends finden konnte«, sagte er.
»Ich hatte auch Angst«, sagte ich wahrheitsgetreu.
»Es tut mir leid, dass sich alles so entwickelt hat. So habe ich mir dein Debüt am Hof der Alfar sicher nicht vorgestellt.«
»Ich weiß, Ryu. Ich weiß.« Dann fiel mir etwas ein. »Hast du Jimmu getötet?«, erkundigte ich mich, überrascht, wie beiläufig meine Frage klang.
»Klar«, antwortete Ryu und schenkte mir ein fang -tastisches Grinsen, »aber er war ziemlich widerspenstig. Erst wollte er einfach nicht kooperieren und sterben.«
»Hm. Na ja, das ist gut. Dass Jimmu tot ist, meine ich. Oh, und du hättest sehen sollen, was Wally gemacht hat«, fügte ich hinzu und setzte zu einer gekürzten Version meiner Erlebnisse dieses Abends an. Dass ich ihm nicht alles sagen durfte, hieß ja nicht, dass ich ihm nicht wenigstens ein paar Sachen erzählen konnte.
Als ich ihm dann von Wallys Arm berichtet hatte und davon, was Nyx mit der Schlange angestellt hatte, waren wir wieder in unserem Zimmer angelangt. Ich musste Nyx wirklich meinen Respekt zollen. Sie war zwar eine Schlampe, aber eine ziemlich harte Kämpferin.
Danach kommunizierten wir nicht mehr viel, zumindest nicht verbal. Trotz allem, was passiert war - oder vielleicht auch gerade deshalb -, stellte ich fest, dass mein Körper noch viel mehr zu sagen hatte, als ich gedacht hätte. Trotz seiner Erschöpfung wollte er noch übers Leben philosophieren und übers Sterben und die Moral und über Angst, Schmerz und Liebe und über die Lust … ganz besonders über die Lust.
Zu meiner Freude war Ryus Körper nur zu gern bereit, mit meinem in Dialog zu treten, den wir so lange führten, bis wir beide zu müde waren, um uns weiter zu unterhalten, sowohl im eigentlichen als auch im übertragenen Sinne.
»Wenn ich früher gewusst hätte, dass ein Diskurs so viel Spaß machen kann«, dachte ich, als ich in Ryus Armen einschlief, »wäre ich dem Debattierklub beigetreten...«
KAPITEL 25
D addy!«, schrie ich und rannte auf ihn zu, um ihn zu umarmen.
Dass er überrascht war, mich aus einem Mercedes steigen zu sehen, war eine dreiste Untertreibung. Ähnlich überraschend war für ihn wohl auch die Heftigkeit, mit der ich ihn begrüßte.
»Ist alles in Ordnung mit dir, Jane?«, erkundigte er sich besorgt. »Was ist denn passiert?«
Ich schluckte das überwältigende Gefühl der Erleichterung hinunter, das mich beim Anblick meines Vaters und meines Zuhauses überkam, und setzte stattdessen ein strahlendes Lächeln auf. »Ach, alles in Ordnung, Dad«, sagte ich, als ich meiner Stimme schließlich wieder trauen konnte. Der Fahrer hatte mein Gepäck bereits vom Rücksitz geholt und stellte es auf unserer Veranda ab, bevor er leise davonfuhr.
»Warum hat Ryu dich denn nicht zurückgefahren?«, fragte mein Vater besorgt.
»Ach, ihm ist etwas dazwischengekommen. Aber mach
dir
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