Nachtstürme - Peeler, N: Nachtstürme - Tempest Rising
Halbling bin, bin ich doch noch lange kein Schwächling oder verachtenswert oder dumm! Ich habe alles gemeistert, was mir hier an deinem beschissenen Hof passiert ist, und ich habe überlebt.« Ich überdachte noch einmal, was ich soeben gesagt hatte. »Zumindest beinahe«, räumte ich ein, »aber ich habe überlebt. Also betrachte mich bloß nicht als irgendeine minderwertige Lebensform, du Stinker!«
Meine Worte hatten ihm offensichtlich den Wind aus den Segeln genommen. Er ließ sich kraftlos neben mir auf den Boden sinken. Offenbar hatte es ihm die Sprache verschlagen.
»Das habe ich nie«, sagte er schließlich. »Ich fand nie, dass du schwach bist, und ich betrachte dich nicht als irgendetwas Halbes.« Seine Stimme klang traurig. Sie war mir so vertraut, und doch konnte ich sie nicht zuordnen. Am liebsten hätte ich aus Frust darüber geschrien. »Du bist Jane«, fuhr er fort, »und das reicht mir.« Er sah mich an, auf seinem Gesicht lag ein Schatten, aber seine Augen waren ganz klar zu erkennen.
»Natürlich...«, fiel es mir da endlich wieder ein. »Du warst mein unsichtbarer Freund, als ich nach Jasons Tod im Krankenhaus war. Du hast mich immer besucht. Du hast mir Geschichten erzählt und meine Hand gehalten, während ich schlief.« Als ich diese Worte ausgesprochen hatte, wusste ich, dass ich Recht hatte. Und sein Gesichtsausdruck bewies es, ganz gleich, wie verrückt es klang.
»Ich habe dich besucht«, gab er zu. »Ich konnte dich doch nicht allein an diesem schrecklichen Ort lassen. Wir - das heißt Nell und ich - fühlten uns verantwortlich für Jasons Tod.« Er wog die folgenden Worte genau ab, bevor er weitersprach. »Die Bucht, in der er starb, ist unsere, weißt du. Wir hatten sie eigentlich geheim halten wollen, damit sich dort nicht die jungen Leute aus der Umgebung herumtreiben, aber du hast durch die Aura hindurch sehen können. Wir hatten sie nicht stark genug gemacht. Du hast auch Jason dorthin mitgenommen, und wir wussten, dass wir sie eigentlich besser versiegeln hätten sollen. Aber ihr wart so jung und unschuldig, und du hattest eine so schwere Zeit hinter dir. Also ließen wir euch gewähren, und ihr habt euch dort so wohlgefühlt... zu wohl«, fügte er schuldbewusst hinzu. »Wenn wir euch die Bucht nicht hätten benutzen lassen, wärst du mit deiner Schwimmerei umsichtiger gewesen. Und wenn du vorsichtiger gewesen wärst, dann wäre Jason noch am Leben.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Es tut mir so leid, Jane. Es ist unsere Schuld, dass er ertrunken ist.«
Ich zweifelte keine Sekunde: Was er sagte, war absolut lächerlich.
»Anyan«, hörte ich mich sagen, »das stimmt doch nicht. Jasons Tod, war ein...« Meine Stimme erstarb. Ich war dabei, zu sagen, dass Jasons Tod ein Unfall gewesen war. Meine Welt geriet ins Wanken, und ich musste ein paarmal tief durchatmen, um mich wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Also habe ich dich besucht«, fuhr er unbeirrt fort. »Du warst wie… zerbrochen. Und man hätte dich niemals in
diese Klinik stecken dürfen. Wir hätten viel früher eingreifen müssen. Aber wahrscheinlich habe ich alles nur noch schlimmer gemacht, oder?« Seine Stimme war jetzt so leise geworden, dass ich ihn kaum noch verstehen konnte.
»Nein«, widersprach ich ihm ohne zu zögern, ohne dass mir bewusst gewesen wäre, dass ich so empfand, bevor ich es sagte. »Du bist der Grund, warum ich es überhaupt durchgestanden habe. Ich meine, ich wusste zwar nicht, dass du real bist, sondern habe gedacht, du wärst der Beweis dafür, dass ich verrückt bin. Aber wenn es mir wirklich schlechtging, wenn ich dachte, ich könnte es keinen weiteren Tag mehr aushalten, dann warst du da, und ich habe mich nicht mehr ganz so allein gefühlt.«
Als ich das gesagt hatte, schwiegen wir beide. Dieser Abend war einfach viel zu heftig gewesen - zu viele Enthüllungen, zu viel Gewalt, zu viele schmerzhafte Erinnerungen. »Zu viel Schmerz, Punkt«, dachte ich bitter und rieb mir mit der Hand den Hals.
»Warst du auch der, der Jimmu damals am Pool abgelenkt hat?«, fragte ich schließlich und brach damit das Schweigen. Anyan nickte.
»Danke«, sagte ich. »Du hast mir zweimal das Leben gerettet.« Ich atmete tief durch. »Und es tut mir leid, dass ich dich Stinker genannt habe. Übrigens riecht dein Atem sogar nach Zahnpasta, was jetzt auch viel plausibler ist, seit ich weiß, dass du Daumen hast.« Er schenkte mir ein kleines Lächeln, das ich erwiderte, obwohl in meinem Kopf noch
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