Nachtwandler (German Edition)
wurde nämlich in den Körper eines Mädchens hineingeboren. Nur der Gynäkologe meiner Mutter wusste, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, denn er erkannte bei den Ultraschalluntersuchungen, dass meine Mutter eindeutig einen Jungen in sich trug. Wenn du jedoch über so viel Kohle und Einfluss verfügst, wie meine Familie, dann schaffst du es auch, einem Mediziner einen Maulkorb zu verpassen. Also wunderte sich sonst niemand über die kleine Leonie von Heppstett, zumal auf einem Ultraschallbild ein Penis schnell mal mit der Nabelschnur verwechselt werden kann.“
„Und deine Mutter?“
„Mein Dad hat es ihr noch während der Schwangerschaft gebeichtet. Allerdings taten beide diesen angeblichen Fluch als Witz ab. Wer glaubt schon an einen solchen Schwachsinn.“
„Du wurdest als Mädchen großgezogen?“
„Ja, und ich habe es von der allerersten Sekunde an gehasst. Damals wusste ich natürlich noch nicht, was mit mir los war. Ich war einfach die etwas seltsame Tochter der von Heppstetts, die lieber auf Bäume kletterte und Fußball spielte, als Puppen frisierte und ihnen schöne Kleider anzog. Freundinnen hatte ich nie. Ich hatte Daniel. Ihn habe ich heute noch.“
„Ihr steht euch sehr nahe“, stellt Felix fest. „Hattet ihr mal was miteinander?“
„Nein, nie, auch wenn ich von Daniel meinen ersten und einzigen Kuss bekommen habe“, schmunzle ich.
„Und der war so grausam, dass du von da an nie wieder küssen wolltest?“, fragt er mich amüsiert. Den ersten Schock scheint Felix überwunden zu haben, er kann zumindest wieder lächeln.
Ich schüttle den Kopf. „Das war noch nicht einmal ein richtiger Kuss. Bestenfalls ein Schmatzer“, sage ich. „Nein, dass ich nicht küsse, hat einen anderen Grund.“
„Erzählst du ihn mir?“
„Dieser Fluch … die Verwandlungen haben an meinem 16. Geburtstag begonnen. Beim ersten Mal dachte ich, ich krepiere. Zum Glück war ich zu Hause. Da erst habe ich die ganze Geschichte erfahren. Mein Dad hat sie mir erzählt. Ich habe ihn für verrückt erklärt, zumindest am Anfang, danach habe ich ihn gehasst. Er war dafür verantwortlich, dass ich die ganze Zeit über in einem Körper gefangen war, der überhaupt nicht zu mir gehörte. Er hat mir auch erzählt, dass der Fluch durch einen Kuss gebrochen werden könnte. Jedenfalls hatte diese Malin ihm das gesagt.“
„Was für 'ne Malin?“
„Na diese Hexe, die mir diesen Fluch verpasst hat“, erkläre ich.
„Hexe“, stöhnt er. „Sie fliegt natürlich auf 'nem Besen und hält sich ein Harem voller Männer in ihrem Keller, richtig?“
Ich blicke ihm verständnislos entgegen.
„Sorry“, beginnt er und schüttelt den Kopf. „Es ist einfach ein bisschen viel auf einmal. Auch wenn es vielleicht nicht danach aussieht, aber ich stehe kurz davor, völlig durchzudrehen.“ Er sieht mich so gequält an, als würde er tatsächlich damit rechnen, dass ich im nächsten Augenblick irgendwelches sagenumwobene Getier aus dem nicht vorhandenen Hut zaubern könnte.
„Okay“, sagt er einige Zeit später und fährt sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Dieser … Fluch kann also durch einen Kuss gebrochen werden. Hätte es dann aber nicht vorbei sein müssen, als Daniel und du euch geküsst habt?“ Er scheint sich wieder einigermaßen gefangen zu haben.
„Nicht unbedingt. Ich hätte ihn lieben müssen, damit es funktioniert - und er mich. Zudem hatte zu diesem Zeitpunkt Phase zwei noch nicht begonnen. Keine Ahnung, ob das vielleicht auch eine Rolle gespielt hat.“
Er sieht mir eine halbe Ewigkeit einfach nur ins Gesicht. „Warum hast du es mir erzählt? Du wolltest ganz offensichtlich, dass ich es erfahre. Warum?“ Irgendwie habe ich geahnt, dass diese Frage kommen würde.
Ich hole tief Luft. „Ich habe dich ziemlich gern“, antworte ich. „Ich wollte, dass du es weißt, auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt für einen Freak hältst.“ Ich atme einmal tief durch und sehe ihn dann an.
„Ich bin sehr froh, dass du es mir erzählt hast, und ich halte dich ganz bestimmt nicht für einen Freak, auch wenn mich die Situation gerade ziemlich überfordert. Aber ich mag dich - sehr sogar.“ Felix zeigt mir wieder dieses Lächeln, das mich von Anfang an so fasziniert und den Wunsch in mir geweckt hat, ihm näher zu sein, als allen Männern vor ihm.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich dich jetzt küssen würde“, flüstere ich.
„Dann tu es doch“, meint er.
„Ich habe Schiss“,
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